Bürgerfeste vor dem Aus:Das Ende der Leichtigkeit

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In den vergangenen Jahren wurden Sicherheitsbestimmungen und Auflagen massiv verschärft. Viele private Veranstalter haben deswegen aufgegeben. Auch die "Lange Tafel" in Dachau steht jetzt auf der Kippe. Die Haftungsrisiken sind den Organisatoren einfach zu groß geworden

Von Anika Blatz, Dachau

Jüngst verkündete Ludwig Kraus, Inhaber der Dachauer Würmmühle, dass er aufgeben will: Das erfolgreiche Mühlenfest, das seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Pfingsten stattfindet, werde er nicht mehr ausrichten. Nicht, weil er dazu keine Lust mehr hätte, sondern weil ihm Sicherheitsbestimmungen und Vorschriften zur Lebensmittelhygiene schlaflose Nächte bereiten. Ludwig Kraus ist das Haftungsrisiko zu groß geworden. Und wie ihm geht es vielen, die wegen wachsender Auflagen und bürokratischer Hürden bald das Handtuch werfen werden.

Aus juristischer Sicht ist ein Veranstalter verpflichtet, alles Erforderliche und Zumutbare zu tun, um Schäden von den Besuchern fernzuhalten. Das klingt vernünftig und war früher schon so geregelt. Was sich seit Jahren zunehmend verschärft, ist der Umfang der Haftung, das, was also unter "erforderlich und zumutbar" zu verstehen ist. Dazu gehört bei größeren Veranstaltungen jetzt beispielsweise ein ausgefeiltes Sicherheitskonzept, das der Veranstalter einhalten muss. Taschenkontrollen, Geländeumzäunungen, Flucht- und Rettungswege, Bestuhlungsplan, Anforderungen zu Sicherheitspersonal, Sanitätsdienst, Brandsicherheitswache - alles muss darin enthalten sein.

"So ein Konzept kann schon mal hundert Seiten umfassen, muss häufig von Fachleuten erstellt werden und kostet dementsprechend", sagt Stefan Januschkowetz, Leiter des Ordnungsamtes Dachau. Wer sich diese Investition spart oder mangels Budget sparen muss, riskiert im Unglücksfall eine Haftstrafe. Wer ein Sicherheitskonzept hat, bei dem sich hinterher jedoch herausstellt, dass bestimmte Maßnahmen gefehlt haben, riskiert genauso Kopf und Kragen. "Arbeit, Kosten, im schlimmsten Fall Gefängnis. Es ist verständlich, dass viele Vereine und ehrenamtliche Privatpersonen sagen, dann lassen wir es lieber", meint Wolfgang Reichelt, Stadtrat (CSU) und Pressesprecher der Freiwilligen Feuerwehr Dachau.

Reichelt plant gerade das große Fest, das zum 150-jährigen Bestehen der Dachauer Feuerwehr im September auf der Thoma-Wiese stattfinden wird. Auch er hat festgestellt, dass die Auflagen umfangreicher geworden sind: "Bei unserem letzten großen Jubiläum 1994 hat keiner an einen Sicherheitsdienst, Taschenkontrollen und Betonblöcke gedacht. Einzig auf den Brandschutz hat man damals schon großen Wert gelegt." Für die Veranstaltung, deren haftungsrechtliche Gesamtverantwortung der Feuerwehrvereinsvorstand trägt, wird ein aufwendiges Sicherheitskonzept erstellt - teils von einem fachkundigen Vereinsmitglied, teils von einem Fachbüro. Das kostet Geld.

Veranstalter wie Isabel Seeber, die hilft, das 150. Jubiläum der Feuerwehr auszurichten, kennt die Probleme mit zu vielen Auflagen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Die Gesellschaft hat sich in der Zwischenzeit einfach sehr gewandelt. Wenn vor 30 Jahren jemand von der Bierbank fiel, dann sagte man, mei, Pech gehabt! Jetzt wird so etwas nicht mehr als allgemeiner Lebensumstand wahrgenommen, sondern irgendjemand muss dafür die Verantwortung übernehmen und haften", erklärt Reichelt.

Isabel Seeber ist allein haftende Veranstalterin der Langen Tafel, des beliebten Straßenfestes in der Münchner Straße in Dachau. Bis zu 15 000 Besucher kommen jedes Jahr. Isabel Seeber muss den Behörden ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept vorlegen, das etwa zwei Sicherheitsmanager vorsieht, die ständig die Veranstaltung überwachen und die Sicherheitsleute einweisen. Das ist teuer. "Notfalls muss an den Künstlern und allem anderen gespart werden, aber nicht an den Sicherheitsmaßnahmen", sagt Thomas Schächtl, Geschäftsführer der Event-Agentur "Die schwebenden Elefanten", der das für die Besucher kostenlose Fest in Zusammenarbeit mit den ehrenamtlich tätigen Geschäftsleuten um Isabel Seeber organisiert. "Am Ende dreht sich alles um zwei Fragen: Werden die Kosten privat oder gemeinsam mit der öffentlichen Hand gestemmt, und wer ist verantwortlich, wenn was passiert", fasst er zusammen.

Die Zukunft der Veranstaltung ist fraglich: "Die Lange Tafel ist kein kommerzielles Fest. Wir machen das, weil wir es für ein schönes Fest für die gesamte Bevölkerung halten. Auf rein wirtschaftlicher Basis ist das Ausrichten einer solchen Veranstaltung ab einem gewissen Punkt nicht mehr möglich, und der ist jetzt erreicht", sagt Schächtl. Diesmal zahlt die Stadt einen Zuschuss für das Fest. Wie es weitergeht, ist noch offen. Die Organisatoren haben zwei Vorschläge unterbreitet, ob und mit welchem Konzept die Lange Tafel im nächsten Jahr weitergeführt wird, hängt nun von der Entscheidung des Stadtrats ab. Eines ist jedoch schon sicher: Isabel Seeber wird nicht mehr als Veranstalterin zur Verfügung stehen.

Auch Wolfgang Reichelt ist am Jubiläum der Feuerwehr beteiligt. (Foto: Niels P. Joergensen)

"Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, wem man so eine finanzielle und haftungsrechtliche Last aufbürden kann, und ob sich die Gesellschaft solche Veranstaltungen noch leisten will. Wir haben als Gemeinde verloren, wenn wir diese Frage mit nein beantworten", sagt Schächtl. Es brauche kommunale Konzepte, die Private und Vereine nicht allein im Regen stehen lassen. Das sieht auch Willi Heilmann, Präsident des Faschingskomitees Markt Indersdorf, so: "Die Verantwortung muss auf mehrere Schultern verteilt werden. Wenn man den Rückhalt von der Politik nicht hat, kann man es knicken." Wann der Umbruch bei den Auflagen kam, macht er an einem Ereignis fest: "Mit dem Unglück auf der Loveparade 2010 und den damit verbundenen Prozessen gegen die Veranstalter hat es begonnen. Dann kam noch der Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 dazu".

Das Komitee veranstaltet als eine der wenigen noch einen Faschingszug. Doch die steigenden Sicherheitsauflagen machen den Freiwilligen zu schaffen. "Zermürbend", nennt seine Frau Sonja die Entwicklung der vergangenen Jahre. "Ich bin nicht Veranstalter des Faschingszugs, sondern der Bürgermeister hält den Kopf hin. Sonst würde ich es nicht mehr machen", bekennt Willi Heilmann. Auch die fünf jungen Frauen des Vereins "Wir sind Paul" wünschen sich mehr Unterstützung. Mit ihren innovativen Kulturprojekten stoßen sie immer wieder an Grenzen. Vor zwei Jahren organisierten sie das Benefizfestival White Paper auf dem Gelände der ehemaligen MD-Papierfabrik in Dachau mit 2300 Besuchern. "Wir scheuen uns nicht vor Arbeit und Aufwand. Aber es wird einem nicht gerade leicht gemacht mit all den Sicherheitsauflagen und was so gefordert wird", sagt Annika Wenzel. "Wir hatten das Glück, dass wir Freunde haben, die Architekten sind und uns bezüglich der baulichen Auflagen fachlich beraten konnten. Auch das Sicherheitskonzept wurde von einem Kumpel erstellt", erzählt sie.

Es war dennoch nervenaufreibend, wie Wenzel erzählt: Ortsbegehungen mit 15 bis 20 Leuten aus den unterschiedlichsten Ämtern und anschließender Unklarheit, wer denn nun für all die Genehmigungen zuständig ist. Ein kilometerlanger Bauzaun um das gesamte Gelände herum. Fensterluken, die regendicht von der Feuerwehr verschlossen werden mussten. Eine Übersicht zu all den haftungsrechtlichen Risiken, die den Frauen erst ein paar Stunden vor Festivalbeginn überreicht wurde. Neben dem haftungsrechtlichen Risiko auch finanziell ein hohes privates Risiko. Das sei schon alles sehr belastend gewesen, und man frage sich, wohin das in den nächsten Jahren noch führen werde, sagt Lina Homann.

Ludwig Kraus hat die "Leichtigkeit" vergangener Jahre vermisst und das Mühlenfest aufgegeben. Auf dem Karlsfelder Siedlerfest gab es die Tradition des Ochsenrennens. Wegen bürokratischer Hürden jetzt nicht mehr. Wie lange wird es Feste noch geben? "So lange wie idealistische Menschen noch an die Sache glauben. Aber Idealismus ist auch nicht grenzenlos", antwortet Schächtl. Und Reichelt meint: "Die Feuerwehr Dachau hat das Glück, sehr viele sehr engagierte Mitglieder zu haben. Aber wenn die Auflagen in den nächsten Jahren noch umfangreicher werden, dann muss man neu fragen, ob wir das noch stemmen können und wollen."

© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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