Bürgerbeteiligung:Bauen wir uns ein Dorf

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Die Besucher beugen sich über Luftbilder und Planungsskizzen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Beim Wirtshausgespräch im Sportheim setzen sich mehr als 100 Hebertshausener mit der künftigen Entwicklung ihres Ortes auseinander. Viele wünschen sich ein attraktiveres Zentrum rund ums Rathaus.

Von Petra Schafflik, Hebertshausen

Das Freibier, das Bürgermeister Richard Reischl (CSU) beim Wirtshausgespräch zur Ortsentwicklung am Freitagabend in Spendierlaune offerierte, hätte es gar nicht gebraucht. Denn die gut 100 Frauen und Männer aller Generationen, die sich im Sportheim zwei Stunden über Luftbilder und Planungsskizzen beugten, waren nicht zum gemütlichen Ratschen gekommen, sondern um engagiert mitzugestalten. Schließlich ging es bei der zweiten Bürgerbeteiligung zum integrierten Städtebaulichen Konzept (ISEK), das die Gemeinde gerade entwickelt, um viel. Vor allem um die Frage, wie sich bisher brach liegende Flächen im Ortskern entwickeln, welche Einrichtungen und Infrastruktur dort entstehen sollen. Letztlich wird, das ist allen Hebertshausenern klar, der gesamte Ortsteil ums Zentrum herum vollständig umgebaut. Dabei gelte es, in die Zukunft weisende Entscheidungen zu treffen, erklärte Rathauschef Reischl den Bürgern. "Diese Chance gibt es nur einmal." Umso mehr waren die Einwohner gefragt als aktive Ideengeber und Architekten der Dorfzukunft.

Dabi konnten die Besucher auf bereits erhobene Daten zurückgreifen. Der strukturierte Prozess des ISEK, den das spezialisierte Planungsbüro Dragomir begleitet, läuft im Ort bereits seit Frühjahr 2018. Die Experten haben Schwächen und Stärken analysiert und im Sommer beim Jubiläumsfest des Mädchen- und Burschenvereins die Hebertshausener an einem Infostand nach ihrer Meinung befragt. Zudem haben sie gemeinsam mit einer Steuergruppe und dem Gemeinderat zentrale Handlungsfelder und Ziele entwickelt. Bevor die Kommunalpolitiker in einer Klausurtagung Entscheidungen treffen, sollten die Bürger kritisch über das Konzept schauen. Damit am Ende des aufwendigen Verfahrens ein Leitfaden herauskommt, den alle mittragen.

"Seit wir vor vielen Jahren hergezogen sind, ist alles schlechter geworden"

Und so beugten sich im Sportheim schließlich Hebertshausener aller Generationen, Männer und Frauen, Neubürger und Alteingesessene, Altbürgermeister Hans Zigldrum, Gemeinderäte, Vereinsvorstände und viele nicht organisierte, aber interessierte Bewohner gemeinsam über großformatig auf Papiertischdecken gedruckte Pläne und Luftbilder, skizzierten Problemstellen, markierten Potenzialflächen und schrieben Zeile um Zeile eine Vielzahl von Ideen, Meinungen und Vorschlägen auf. Natürlich lässt sich ein Freitagabend entspannter verbringen. "Aber wenn es die Chance gibt mitzureden, wollen wir die nutzen", sagten einige junge Frauen, die sich selbst als "Zugereiste" outeten, die aber ihre Zukunft in Hebertshausen sehen und deshalb für sich und ihre Kinder eine gute Ortsentwicklung mitgestalten wollen. "Denn im Nachhinein beschweren, bringt nicht. Man muss jetzt aktiv werden."

Eine andere Gruppe hat sich erst am Tisch gefunden, "das waren die letzten freien Plätze", sagt ein Teilnehmer. Auch diesen Bürgern liegt daran, "dass Hebertshausen eine eigene Identität entwickelt und keine Schlafstadt wird." An mehreren Tischen wird darüber gesprochen, dass die Flächen rund ums Rathaus attraktiver gestaltet werden sollen. "Denn es fehlt eine echte Ortsmitte." Anderswo findet der Wunsch nach einem Badeweiher den Weg aufs Papier, während daneben ein Paar erläutert, dass die Nahversorgung im Ort gestärkt werden muss. "Denn seit wir vor vielen Jahren hergezogen sind, ist alles schlechter geworden. Apotheke, Supermarkt, Metzger, Poststelle, nichts davon gibt es mehr." Das Leben in Hebertshausen hat auch positive Seiten, die Dorfgemeinschaft sowie auch die große Hilfsbereitschaft wird gelobt.

Mit Stiften werden die Ideen markiert. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nicht alle Vorschläge des vorliegenden Leitfadens, der von Wohnen über Bildung bis zu Verkehr und Naherholung reicht, werden für gut befunden. Kritik gibt es an der Idee, am S-Bahnhof langfristig ein Gewerbegebiet für nichtproduzierende Betriebe zu entwickeln. Zudem war Mobilität ein Diskussionsthema. Wird es in 20 Jahren noch große Supermarktparkplätze brauchen oder fahren dann vielleicht autonome Shuttle-Busse durch den Ort? Wichtig ist den Bürgern auch eine vorausschauend sparsamer Umgang mit Grund und Boden. Diese endliche Ressource soll klug genutzt werden, Reserven für die Nachkommen erhalten bleiben, fordern einige. Daher können sich Teilnehmer in dem bisher eher ländlich strukturierten Hebertshausen durchaus Mehrfamilienhäuser mit mehreren Etagen vorstellen, auch verschiedene Wohnungsgrößen und preiswerte Unterkünfte für junge Leute, Bürger in schlecht bezahlten Berufen und spezielle Wohnangebote für Ältere werden gefordert.

Auf den Ergebnissen lässt sich aufbauen

Nach zweistündiger Debatte stand die Luft im Saal, die freien Getränke wurden als Erfrischung gerne geordert. Und Planer Martin Birgel präsentierte den Teilnehmern eine erste Bilanz. Anders als in manchen Dörfern, wo das Büro Dragomir bereits ISEK-Prozesse begleitet hat, gebe es in Hebertshausen nicht wenige, zentrale Brennpunkte, sondern viele Themen, die den Bürgern am Herzen liegen, betonte Birgel. Ganz wichtig ist allen das Thema Nahversorgung, sowohl was den Lebensmitteleinkauf wie auch die medizinische Versorgung betrifft. Ebenfalls ein Dauerbrenner ist die Verkehrsbelastung durch die stark frequentierte Staatsstraße, die den Ort durchschneidet sowie eine attraktivere Gestaltung des Dorfkerns rund ums Rathaus. Auch das Potenzial von Amper, Mühlbach und Hügellandschaft für Naherholung und Freizeitaktivitäten will man besser nutzen. Beim Thema Wohnen denken die Bürger an Betreutes Wohnen für Senioren, an bezahlbare Grundstücke für Einheimische und an Genossenschaftsmodelle.

Ergebnisse, mit denen sich weiterarbeiten lässt. Planer Birgel jedenfalls lobt die Hebertshausener für ihre engagierte konstruktive Mitarbeit und den "erfolgreichen Abend." Die Resultate werden einfließen, wenn sich der Gemeinderat nun im März zu einer abschließenden Klausur trifft. Das endgültige Konzept, an dem sich die Ortsentwicklung der kommenden 20 Jahre orientieren soll, wird danach im Rahmen einer Ausstellung öffentlich präsentiert.

© SZ vom 11.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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