Hoftheater Bergkirchen:Ich, die Fremde

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Lisa Wittemer führt auf der Bühne des Hoftheaters vor Augen, was es bedeutet, aus seiner Heimat in einen fremden Kulturkreis fliehen zu müssen. (Foto: Toni Heigl)

Was wäre, wenn wir vor einem Krieg in den Nahen Osten fliehen müssten? Das Hoftheater Bergkirchen zeigt die Flüchtlingskrise mit vertauschten Rollen nach einer Vorlage von Janne Teller

Von Deborah Portejoie, Bergkirchen

Vorsichtig nimmt das junge Mädchen die vier Äpfel aus ihrem Rucksack, legt sie nebeneinander auf den Boden. Sie wäscht und trocknet jeden einzelnen Apfel sorgfältig. Man könnte meinen, die Äpfel wären aus Gold, so behutsam geht das junge Mädchen mit dem Obst um. Doch es handelt sich nicht um Edelmetalle, sondern um Essen. Das hat in dem Leben der Jugendlichen sehr viel mehr Bedeutung, ist der Hunger doch der größte Feind. Wie die Kälte. Und die Bomben.

Die Rollen in "Krieg - stell' dir vor, er wäre hier", eine Theateradaption des Buches von Janne Teller, werden umgedreht. Von Europa fliehen die Menschen in den Nahen Osten und Nordafrika. Das dänische Original erschien bereits 2004, Janne Teller passte das Buch für die deutsche Ausgabe an die Verhältnisse in Deutschland an. Im Hoftheater Bergkirchen feierte das Theaterstück mit Lisa Wittemer in der Rolle des "Ichs" vergangenen Freitag Premiere. Für 50 Minuten nimmt Lisa Wittemer als "Das Ich" den Zuschauer in ein Leben mit, das den meisten aus eigener Erfahrung nicht mehr bekannt ist. Ein vom Krieg zerrüttetes Land, in dem der tägliche Gang, um Wasser für die Familie zu holen, das Letzte sein kann, das man tut, wenn ein Scharfschütze in einem Gebäude auf dem Weg auf der Lauer liegt, oder eine Granate auf der Straße explodiert. Nationalität sei eine Definition von Freund und Feind, sagt das junge Mädchen, zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt. Flucht ist teuer und schwierig, aber für die deutsche Familie, die einzige Hoffnung. So brechen sie nach Ägypten auf, um Schutz und ein anderes Leben, ohne Krieg und Gewalt, zu finden.

Einladung in das Leben eines anderen Menschen

Lisa Wittemer steht die knappe Stunde alleine auf der Bühne. Es gibt nur das "Ich", verkörpert von der Schauspielerin, und das "Du", welches das Publikum darstellt. Durchgängig wendet sich das "Ich" an das "Du". Das könnte es erschweren, Emotionen zu vermitteln oder das Gefühl geben, als redete jemand mit gehobenem Zeigefinger mit einem, wie auch Ansgar Wilk in einer an das Theaterstück anschließenden Diskussionsrunde erzählt. Doch, wie Lisa Wittemer es richtig sagt, sei das "Du" eher eine Aufforderung, sich auf ein Gedankenspiel einzulassen. Ständig wird man erinnert, sich in ein sehr fremdes Leben hineinzuversetzen. Auch wenn man bereits empathisch gegenüber der Geschichte von Geflüchteten ist, erfordert es Kraft, sich den Horror und das Trauma vorzustellen, das Krieg in der Heimat, Flucht und Ankunft in einem fremden Land darstellen. Dass man als Zuschauer angesprochen wird, ist ungewohnt, aber wirkt nicht umständlich. Es ist eine Einladung in das Leben eines anderen Menschen.

Hat sie am Anfang, als sie von der Ankunft in Ägypten erzählt, noch ein breites Lächeln im Gesicht, schwindet dieses zusehends, und bald sitzt die Jugendliche zusammengekauert am Boden. Schmerzend wird dem jungen Mädchen in dem Theaterstück bewusst, dass in Ägypten zwar Frieden herrscht, ihr nicht mehr kalt ist und sie auch keinen Hunger hat, ihr aber zehrende Jahre in einem Zeltlager bevorstehen, das sie und ihre Familie nicht verlassen können, in dem sie die arabische Sprache nicht lernen können. Anfängliche Hoffnungen auf eine Ausbildung für die Kinder und eine Rückkehr nach Deutschland nach dem Ende des Krieges werden aufgegeben. Auch nach der Gewährung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und einigen Jahren in Ägypten fühlt sich das junge Mädchen wie eine Bürgerin dritter Klasse, in einem Land voller Vorurteile und behördlicher Willkür.

"Jemand kam und stahl dein Leben, das weder hier noch dort ist" - das ist und bleibt auch während des Theaterstücks schwer greifbar; zu fremd scheinen die umgedrehten Rollen zu sein. Vorurteile und Aussagen der Ägypter über die Deutschen - sie hielten sich nicht an Sitten und Gebräuche in Ägypten, seien nur gut, um in Büros zu sitzen und Papiere umzudrehen - erscheinen haltlos. Das Stück behandelt das hochaktuelle Thema in Zeiten der Flüchtlingskrise aus einer Perspektive ohne Zahlen und Statistiken. Hinter jedem Geflüchteten steht eine Familie, ein Leben, eine Geschichte, die in dem Theaterstück in den Vordergrund geholt wird.

"Krieg - stell' dir vor, er wäre hier", wird am Donnerstag, 9. November, um 20 Uhr im Hoftheater Bergkirchen noch einmal aufgeführt.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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