Brigas Pläne in Dachau:Die fröhliche Akkordarbeiterin

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Die kanadische Musikerin Brigitte Dajczer, Künstlername "Briga", spielt eine Vielzahl von Instrumenten, aber die Geige ist ihr das liebste. (Foto: Florian Göttler/oh)

Brigitte "Briga" Dajczer ist die neue Ruckteschell-Stipendiatin der Stadt - für lediglich vier Wochen. Ihren kurzen Aufenthalt will die kanadische Musikerin nutzen, um ein Album zu produzieren, das ganz auf Dachau zugeschnitten ist

Von Andreas Förster, Dachau

Die kanadische Musikerin Brigitte "Briga" Dajczer ist die neue Ruckteschell-Stipendiatin der Stadt Dachau. Die 37-Jährige ist Nachfolgerin von Ian Fisher, der die Villa im Dezember nach einem Jahr Aufenthalt verlassen hat. Dajczer wird nur vier Wochen in der Künstlervilla wohnen und arbeiten, mehr gab der prall gefüllte Terminkalender der gefragten Multi-Instrumentalistin und Komponistin nicht her. Diese Zeit möchte sie nun, sagte Dajczer bei ihrer Vorstellung in der Ruckteschell- Villa, "ganz diszipliniert, zielgerichtet und fokussiert" nutzen, um ein eigens auf Dachau zugeschnittenes Album zu produzieren. Einige lokale Samples, also Audio-Mitschnitte ihrer Umgebung, hat die Künstlerin seit ihrem ersten Fahrradausflug am vergangenen Wochenende bereits "im Kasten".

Der Kontakt nach Dachau kam über Kai Kühnel, den Vorstand des Kulturvereins Tollhaus Dachau, zustande. Er hat seit 2012 bereits mehrere Konzerte, teils solo und teils mit ihrem Landsmann Geoff Berner, organisiert "Was Briga da vorhat ist, gemessen an der relativ kurzen Zeit, das ambitionierteste Projekt, das wir je hatten", sagt Kühnel anerkennend.

Briga ist Dajczers Künstlername. Er erinnert ein wenig an das englische Wort für Brücke, "bridge". Das passt gut, denn die junge Frau mit dem fröhlichen, ansteckenden Lachen ist ja auch so etwas wie eine Brückenbauerin. Sie liebt es zu kommunizieren, sowohl im Gespräch als auch in der Musik. In ihren Liedern verbindet sie die verschiedensten Kulturen und Sprachen, zu denen sie im Laufe ihres Lebens eine Beziehung aufgebaut hat. Sei es durch ihren Vater, einem aus Polen stammenden Musiker mit großer Affinität zur Kultur des Balkans, sei es durch ihre Geburtsstadt Montreal, einem Schmelztiegel von Kulturen und Einflüssen.

Briga gehört zu den wenigen Künstlern, die es sich aussuchen kann, welches ihrer vielen Talente sie beruflich ausüben will. Mit vier Jahren bekam sie Geigenunterricht, mit fünf schrieb sie ihre ersten eigenen Lieder. Als Zwölfjährige konnte sie neben der Geige bereits Akkordeon, Viola, Klavier, Gitarre, Flöte und Piccoloflöte spielen. Später kam noch Cello hinzu, doch die Geige blieb ihr Lieblingsinstrument. Als 15-Jährige trat sie gemeinsam mit anderen Einheimischen in Blues-Bars in Calgary auf und lernte, mit der Geige zu improvisieren. Sie erwarb einen Bachelor of Fine Arts in Malerei und Videokunst am Alberta College of Art and Design, studierte klassische Musik am Toronto Conservatory of Music und machte ihren Master im Fach Open Media an der Concordia University in Montreal. Sei 1999 spielt sie in diversen Bands, sie tourte mehrere Jahre durch Griechenland und den Balkan und begleitete ihren Mentor George Yanex, Bulgariens bekanntesten Violinisten, wenn er auf Roma-Hochzeiten Gypsy-Musik spielte.

Zwischen 2001 und 2008 wirkte Briga mit ihren Band-Kooperationen an mehreren CD-Aufnahmen mit. Die Einflüsse blieben überwiegend osteuropäisch, kamen aber auch aus Algerien und, bedingt durch die Kooperation mit Geoff Berner, auch aus der osteuropäisch-jüdisch geprägten Klezmermusik. Darüber hinaus lernte sie, in verschiedenen Sprachen zu singen: Neben ihren Muttersprachen Französisch und Englisch singt sie auf Serbokroatisch, Bulgarisch und Albanisch.

Wie gut sie ihr bevorzugtes Instrument und ihren multilingualen Gesang beherrscht, hat Briga gerade erst wieder bewiesen. Bei ihrem Konzert im Café Gramsci vergangenen Freitag stellte sie nicht nur ihr aktuelles Album "Femme" vor, sondern auch Songs aus ihren ersten drei Alben, die sie seit 2009 auf ihrem eigenen Plattenlabel, Brigamusic, veröffentlicht. Für sie hat Briga bereits mehrere Musikpreise gewonnen.

Live bricht schon nach wenigen Strichen die Teufelsgeigerin aus ihr hervor, Brigas Leidenschaft für das Instrument ist unverkennbar. Da sie im Gramsci solo spielt, kommen die Beats von der Loop-Maschine. Sie nimmt damit ihre eigenen rhythmischen Takte auf, die sie auf der Geige zupft, streicht oder auf dem Geigenkörper klopft und sampelt sie in wiederkehrenden kurzen Sound-Schnipseln in den Song ein, den sie gerade spielt.

Das Publikum geht vor allem bei diesen Passagen gut mit, spendet aber auch viel Applaus, wenn sie einfach "nur" ihre Gypsy-Musik spielt und all die Einflüsse zu Gehör bringt, die sie auf dem Globus zusammengesammelt hat. Neben den Klängen aus Osteuropa sind es auch die der Türkei, die sie letztes Jahr bereist hat, und sie reichen noch viel weiter, bis zu den indianischen Ureinwohnern Nordamerikas. Die zumeist tiefgründigen Songs über Ausgrenzung, Flucht, Heimatverlust oder Liebe kündigt sie recht intellektuell an. Es ist spürbar, dass Briga der kulturelle Austausch sehr am Herzen liegt. Sie schaut gerne über den eigenen Tellerrand.

Deshalb ist sie nun auch nach Dachau gekommen. Schon vor drei Jahren hatte man ihr das Stipendium angeboten, doch damals war für sie noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen. Erst als im vergangenen Jahr ihre polnische Großmutter starb und sie ausgerechnet von deren Nachmieterin, die sie offenbar über Youtube ausfindig gemacht hatte, eine Einladung nach Warschau erhielt, wusste sie: Nun passt es. Auch die Einladung ins polnische Oświęcim, wo sie ihr Dachauer Musikprojekt live vorstellen wird, fügt sich da perfekt ein. Zwischen Oświęcim und Dachau besteht schon seit Jahrzehnten ein reger künstlerischer Austausch.

Einziger Wermutstropfen ihres Aufenthalts in Dachau: "Die vier Wochen sind einfach zu kurz, um die Relevanz meiner Arbeit zu hinterfragen und für mich selbst zu prüfen", bedauert sie. Das müssen dann andere tun.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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