Berliner Luft in Bergkirchen:Millowitsch ganz anders

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Herbert Müller und Julia Reblinger bei den Proben im zum Etablissement umgestalteten Hoftheater in Bergkirchen. (Foto: Toni Heigl)

Die Starrolle des Kölner Komödianten in der Klamotte "Pension Schöller" übernimmt Regisseur Herbert Müller selbst. Sein Hoftheaterteam will die Komödie in ein musikalisches Sommereignis für den ganzen Landkreis verwandeln

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Das Hoftheater Bergkirchen mutiert gerade zum Berliner Tingeltangel, zu einem Etablissement, das um 1900 einen denkbar schlechten Ruf hatte. Warum diese Verwandlung? Weil von Donnerstag, 6. Juli, an der "Musikalische Theatersommer Bergkirchen" mit der unverwüstlichen "Pension Schöller" startet. Jedoch nicht in der Version, die die Älteren unter uns noch in Erinnerung haben. In jenen längst vergangenen Zeiten, als es Fernsehsendungen nur in Schwarzweiß auf maximal drei Sendern gab, gehörten die Schwänke aus dem Kölner Millowitsch-Theater zur Samstagabend-Unterhaltung.

Das Urviech Willy Millowitsch stolperte in der Rolle des spießbürgerlichen Unternehmers Klapproth, der endlich Großstadtluft schnuppern will, von einem Fettnäpfchen ins andere. Herbert Müller hat dieser Klamotte, die immer noch zu den meistgespielten Schwänken zählt, im übertragenen Sinn ein Ganzkörperlifting verpasst. Aus dem Stück von Wilhelm Jacoby und Carl Laufs von 1890 ist in Zusammenarbeit mit Ingrid und Robert Scheingraber eine musikalische Revue entstanden, die den schönen Schein und die raue Wirklichkeit der "Zeit zwischen Monarchie und Diktatur" auf die Bühne bringt, wie es im Programmheft heißt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zerfiel die alte - preußische - Ordnung zusehends. Die Vertreter der Weimarer Republik kämpften vergeblich gegen Arbeiteraufstände und (Welt-)Wirtschaftskrisen. Am Horizont drohten schon die Nazihorden. Vergnügen um fast jeden Preis war das Betäubungsmittel der Wahl. Aus dem berüchtigten Tingeltangel wurden berühmte Theater und Kabaretts mit berauschenden Shows und scharfzüngigen Attacken gegen "die da oben" in Wirtschaft und Politik. Es war ein "Tanz auf dem Vulkan".

Genau diesen will auch Rentier Klapproth (Herbert Müller) aus Kyritz an der Knatter in der brodelnden Hauptstadt Berlin erleben, allerdings einen der erotischen Art. Schließlich lebt er in der Provinz unter dem strengen Regime seiner Schwester Ulrike (Ingrid Scheingraber). Dumm nur, dass er in der Pension Schöller auf allerlei seltsame Typen trifft, die ihn bis ins heimatliche Kyritz verfolgen.

Das fängt schon mit dem schussligen Inhaber (Jürgen Füser) an und hört mit dem von einem kleinen Sprachfehler geplagten Eugen Rümpel (Ansgar Wilk) noch lange nicht auf. (Theater-)Wirklichkeit? Diese Frage wird auch bei einem Probenbesuch nicht beantwortet. Wohl aber die, warum ausgerechnet "Pension Schöller" das Stück der Wahl für den Musikalischen Theatersommer war. "Es ist das ideale Sujet für eine kleine Berliner Tingeltangel-Revue mit Musik, Schlagern und Tanz", sagt Hoftheater-Chef Herbert Müller. Werden die Zuschauer die betagte Posse überhaupt noch wiedererkennen? Ja, sagt Müller, obwohl er etliches geändert habe. "Die Irrenhausszenen zu spielen, hätte kein Vergnügen gemacht. Das geht nicht", sagt er. In der Originalversion hält Klapproth bekanntlich die Gäste der Pension Schöller für psychisch stark gestörte Menschen und benimmt sich ihnen gegenüber aus heutiger Sicht ziemlich unmöglich. Dennoch geht es auf der Bühne total verrückt zu.

Ingrid Scheingraber, ausgebildete Opernsängerin, schreit in Koloraturen. Tobias Zeitz, der den Schlawiner Fritz Bernhardy spielt, wirft sich ein imaginäres Löwenfell über die breiten Schultern. Die "Gartenlaubenschriftstellerin" Josephine Krüger (Julia Rieblinger) verstrickt sich verbal und mit vollem Körpereinsatz in den alten Klapproth. Der gesteht - nun wieder ganz Theaterchef Müller - in einer Probenpause, dass er den entsprechenden Text auf einer Erotikwebsite gefunden habe. Derweil stöckelt Napoleon-Fan Louise (Lisa Wittemer) mit unnachahmlichem Gang durchs wüste Geschehen.

Denkt man sich die bei der Probe noch nicht zu hörenden und zu sehenden unvergänglichen Songs jener Zeit von Theo Mackeben, Walter Kollo, Paul Abraham und anderen sowie die Auftritte der Schöller-Sisters (die Musicalsängerinnen Helena Schneider und Mona Weiblen) hinzu, so verspricht dieser Musikalische Theatersommer ein vergnüglich-hintersinniger "Tanz auf dem Vulkan" zu werden, in dem die Nacht nicht allein zum Schlafen da ist. Mit diesem "Song der Revolution" hatte im Film von 1938 Gustav Gründgens den französischen Sturz des französischen Königs besungen und die Nazis so sehr das Fürchten gelehrt, dass sie den Film verboten haben. Das ist mehr als ein Indiz dafür, dass in dieser Revue auch die aktuellen Bezüge nicht fehlen werden.

"Musikalischer Theatersommer Bergkirchen": Pension Schöller. Vom 6. Juli bis 6. August, jeweils donnerstags bis sonntags um 20 Uhr im Hoftheater Bergkirchen.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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