Bergkirchen:Die harte Welt des Scheins

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In der Komödie "Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt" von Nestroy kommt es auf die Sprache an. Die will erst begriffen und schließlich perfekt gespielt sein. Ein Probenbericht

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Saftig blaugrün leuchten die Wiesen, im Hintergrund ist die Silhouette von Wien zu erkennen. Bis in die österreichische Hauptstadt liegt aber noch eine ziemliche Wegstrecke vor den Wanderern oder Bikern oder wer auch immer auf den gewundenen Feldwegen unterwegs sein mag. Ein suggestives Bild, doch der Blick wird von einer gemalten Sinfonie in Blau abgelenkt. Johann Nestroys (1801 - 1862) nachdenklich-spöttischer Blick dominiert diese Leinwand. Tänzerinnen, die die Beine und noch mehr schwingen, umschwirren ihn. Keine Frage, wir nähern uns Wien, aber nicht walzerselig, sondern tauchen ein in die Zeit der Umbrüche Mitte des 19. Jahrhunderts. Wie das geht, lässt sich vom kommenden Donnerstag, 23. Juli, an im historischen Gewölbesaal des Reischlhofs in Niederbachern erleben. Dann ist Premiere von Lumpazivagbundus, Nestroys "Posse mit Musik". Sie ist zugleich die Auftaktveranstaltung des Musikalischen Theatersommers Bergkirchen.

Der Musiker Robert Scheingraber und Hoftheater-Chef Herbert Müller sind die Initiatoren. Die Resonanz von Publikum und Mitwirkenden auf die "Im Weißen Rößl"-Produktion anlässlich Bergkirchens 1200-Jahrfeier im vergangenen Jahr sei so positiv gewesen, dass sie sich heuer erneut an eine Großproduktion wagten, erzählen sie vor der öffentlichen Probe am vergangenen Mittwoch. Bei der haben sich rund 60 neugierige Zuschauer einige Szenen, gewissermaßen Appetithäppchen, von den Darstellern servieren lassen.

Tanz und Musik übernehmen in der Inszenierung des Bergkirchner Sommertheaters mit Regisseur Herbert Müller und Musiker Robert Scheingraber eine zentrale Rolle. (Foto: Niels P. Joergensen)

Schon der vollständige Titel des 1837 uraufgeführten Werks lässt ahnen, dass die Geschichte dieses Erfolgsstücks komplex ist: "Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt." Darin spielen höhere Mächte, die im Feenreich die Geschicke der Menschen nach ihrem Willen lenken wollen, eine entscheidende Rolle. Ihre Versuchsobjekte sind drei Wandergesellen. Die benehmen sich aber nicht ganz so, wie die Feen und Göttinnen sich das vorgestellt haben. Das führt zu vielen sehr irdischen Komplikationen in himmlischen und in irdischen Gefilden. Und die Moral von der Geschicht'? Nestroy, der seine Kritik an den Verwerfungen der Gesellschaft so meisterhaft in Komik und Scherze verpacken konnte, zeige "kühne Träume, eine gutbürgerliche Scheinwelt und drei Hallodris, die sich nicht unterkriegen lassen und das Beste aus ihrem Leben machen", sagt Müller.

Er hat - wie könnte es anders sein - gemeinsam mit Scheingraber den Klassiker behutsam bearbeitet. Sehr behutsam, wie er betont. Denn für Müller steht Nestroys prägnante Sprache im Mittelpunkt. Deshalb spielt Sprache bei den akribischen Proben, in denen jeder Schritt, jede Geste, jeder Tonfall, jeder Blick zigmal geübt wird, eine entscheidende Rolle. Mit gutem Grund, wie man als (vor Vergnügen immer wieder laut lachende) Beobachterin sehen und hören kann. Tatsächlich lebt dieses Stück von seinen sprachlichen Finessen, durch ein leichtes Heben oder Senken der Stimme erschließt sich der hintergründige Wortwitz erst so richtig. Das sei eine Herausforderung für alle Schauspieler, sagt Müller. "Sie müssen ihre Figur aus der Sprache heraus entwickeln." Das machen sie mit großer Geduld.

Im Mittelpunkt: Ein Konterfei von Johann Nestroy. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Man darf auf das Ergebnis ebenso gespannt sein wie auf Müllers Sichtweise auf den bösen Geist Lumpazivagabundus. Der ist für ihn der kleine Bruder Mephistos, was selbstredend dazu führt, dass auch Johann Wolfgang von Goethe seinen Auftritt hat. Wie, wird nicht verraten, nur so viel: Der Dichterbolide kommt im 21. Jahrhundert gut an.

Auch dank der Musik. Max I. Milian habe die Originalmusik so ergänzt, dass "reale Welt und Feenwelt hörbar werden und doch alles eine Einheit ist", sagt Müller. Auch Robert Scheingraber hat an der Musik gefeilt. Nicht nur, dass er als musikalischer Leiter für Chor und Orchester - beide in der "Rößl"-Besetzung - verantwortlich ist. Seine Frau Ingrid hat mit dem Chor geprobt und ist begeistert: "Vier Proben, und es hat gesessen. Die haben Blut geleckt", sagt sie und staunt immer noch ein bisschen, dass Chormitglieder bis zu 50 Kilometer fahren, nur um dabei zu sein. Robert Scheingraber hat auch das berühmte Quodlibet (wie es euch beliebt), eine launige Zusammenstellung unterschiedlichster Musikstücke, aus dem zweiten Akt angepasst. "Statt Opern, die keiner mehr kennt, gibt es jetzt Sachen mit Wiedererkennungswert", sagt er. Da sind Rateszenen im Publikum garantiert.

Bleibt vorläufig nur noch die Frage zu klären, warum das sommerliche Musiktheater auf dem Reischlhof stattfindet. Eine Antwort geben Müller und Scheingraber: Sie wollen künftig ganz unterschiedliche, unkonventionelle Spielstätten nutzen. Die zweite Antwort kommt von Markus Stefan. Ihm gehört der unter Ensembleschutz stehende Hof.

Und im temporären Theatersaal befindet sich normalerweise die Werkstatt seiner Elektrotechnikfirma. Die Werkstatt nebst Mitarbeitern habe er "vorübergehend outgesourct", erzählt er lachend und wartet auf die unvermeidliche Frage, woher dieses Engagement für die Kultur rührt. Er habe das Hoftheater im vergangenen Jahr erstmals beim "Weißen Rößl" erlebt. Er sei so fasziniert gewesen, dass er spontan zugesagt habe, den Reischlhof zur Verfügung zu stellen, sagt er. Zudem sei für ihn wichtig, die lokale Kultur zu fördern, Traditionen zu bewahren und Neues zu ermöglichen.

"Das geht hier ideal", sagt Stefan. Denn der riesige Raum mit seinem böhmischen Gewölbe war einst der Kuhstall des seit dem 15. Jahrhundert bestehenden Hofes. Den hat Stefan drei Jahre lang saniert und restauriert. Jetzt hat er eigens für das Theater noch einmal alles geweißelt, einschließlich Zaun. "Soll ja gut aussehen", sagt er lakonisch und freut sich, dass seine Mitarbeiter und seine Familie dieses Projekt mittragen und garantiert unter den Zuschauern sein werden, wenn sich irdischer Witz und himmlische Ränkespiele ein wort- und spielgewaltiges Duell liefern.

© SZ vom 21.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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