Benefizkonzert für den SZ-Adventskalender:"Die wahre Geschichte ist explosiv genug"

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Der Münchner Schriftsteller Hans Pleschinski liest auf der SZ-Benefiz-Veranstaltung in Dachau aus seinem Erfolgsroman "Königsallee", einem Kammerspiel mit dem Literaturnobelpreisträger Thomas Mann im Zentrum des Geschehens

Von Sebastian Jannasch, Dachau

Früher war die Adventszeit eine ziemlich arbeitsreiche Phase für Hans Pleschinski. Denn in seiner niedersächsischen Heimat Wittingen, nur drei Kilometer vom Todesstreifen der DDR entfernt, schnürte die Familie eifrig Westpakete, die noch vor Nikolaus zur Ost-Verwandtschaft geschickt werden mussten: "In der Hochsaison waren elf Pakete mit dem entscheidenden Vermerk Geschenksendung/Keine Handelsware auf der Post abzuliefern", erinnert sich Pleschinski. Um der Geschenke-Sendung, gefüllt mit Datteln, Feigen, Marzipanbroten und Sprengel-Schokolade, die weihnachtliche Note zu verleihen, durfte der Tannenzweig auf dem Gaben-Paket nicht fehlen.

Diese weihnachtliche Episode schildert Pleschinski mit feiner Ironie in seinem Buch "Verbot der Nüchternheit". Die Geschichte wird auch einer der Beiträge sein, die der Autor am Dienstag, 22. Dezember, bei dem SZ-Benefizkonzert im Ludwig-Thoma-Haus vorträgt. Im vergangenen Jahr war die Benefiz-Veranstaltung mit der Schauspielerin Lisa Wagner und dem Duo Unsere Lieblinge einer der Höhepunkte im kulturellen Leben der Stadt Dachau. Mit Unterstützung des C.H. Beck-Verlags in München konnte die Süddeutsche Zeitung in diesem Jahr den Bestseller-Autor Hans Pleschinski gewinnen, der neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller auch als Sprecher beim Bayerischen Rundfunk tätig ist. Er wird aus seinem erfolgreichen Roman "Königsallee" lesen, dazu eine ausgewählte Weihnachtsgeschichte. Begleitet wird Hans Pleschinski von dem Countertenor Kai Wessel, der auf den großen Opernbühnen Europas gastiert, sowie vom weltweit auftretenden Gitarristen Ulrich Wedemeier. Im größten Teil seiner Lesung wird sich Pleschinski Thomas Mann widmen, den er ins Zentrum der Handlung seines Romans "Königsallee" gestellt hat.

Pleschinski ist einer der profiliertesten Gegenwartsautoren deutscher Literatur. 1956 im niedersächsischen Celle geboren, zieht es ihn 1976 zum Studium von der Lüneburger Heide nach München. In der Umzugskiste hat er auch das Manuskript seines ersten Romans, in dem er seine Zivildiensterfahrung in einem Altenheim verarbeitet. "Ich ging fest davon aus, dass ein Verlag ihn drucken wird. Doch der Weg zum Schriftsteller war dann doch etwas schwieriger", erzählt der 59-Jährige. Nachdem Pleschinski Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaften in der damaligen "heimlichen Hauptstadt Deutschlands" gepaukt hat, bleibt er der Isar-Metropole treu. In den vergangenen Jahren erhält Pleschinski, der seit mehr als 30 Jahren am Kulturprogramm des BR mitwirkt, zahlreiche Literatur-Auszeichnungen, darunter zweimal den Tukan-Preis sowie den Literaturpreis der Stadt München für sein Gesamtwerk.

Wie ein roter Faden zieht sich eine Vorliebe für historische Stoffe durch Pleschinskis Werke. "Geschichte ist die Wurzel unserer Identität. Ohne sie können wir nicht verstehen, wer wir sind", erklärt er. So handelt sein Roman "Ostsucht" von Pleschinskis "Jugend im deutsch-deutschen Grenzland". Mit dem Leben am Hofe setzt sich Pleschinski in seinen sehr erfolgreichen Übersetzungen von philosophischen Briefwechseln zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen auseinander. Im Buch "Ludwigshöhe" kommt auch Dachau ausführlich vor, eine Stadt, in der sich stolze künstlerische Vergangenheit und dunkelste Kapitel deutscher Geschichte vereinen. Das ist typisch für Pleschinskis Arbeit, dessen schriftstellerischer Antrieb es ist, "die zwölf Schreckensjahre der Nazi-Diktatur nicht zu vergessen und sich dennoch nicht davon übermannen zu lassen, sondern die schöne, facettenreiche deutsche Geschichte zu verlebendigen", wie der preisgekrönte Autor es formuliert.

Im Thoma-Haus wird der Wahlmünchner hauptsächlich aus seinem Erfolgsroman "Königsallee" lesen, in dem er sich einem Denkmal deutscher Literaturgeschichte widmet: Im Zentrum des Kammerspiels steht der betagte Nobelpreisträger Thomas Mann. Pleschinski greift auf einen tatsächlichen Besuch des 79-jährigen Schriftstellers in Düsseldorf im Jahr 1954 zurück. Dass der Literat erstmals seit seiner Auswanderung wieder zu einer Lesung an den Rhein kommt, sorgt in der Stadt für Aufregung. Pleschinski wirft auch einen Blick auf die zerrissene deutsche Nachkriegsgesellschaft (siehe Artikel unten), die Vorbehalte gegenüber dem Emigranten Thomas Mann hat. In dem Roman hält sich zufällig zum gleichen Zeitpunkt Manns unvergessene Schwärmerei Klaus Heuser im selben Hotel auf. Heuser ist nach 18-jährigem Aufenthalt in Asien ebenfalls auf Heimatbesuch.

Im Jahr 1927 lernt der echte Thomas Mann den damals 17-jährigen Klaus Heuser auf Sylt kennen und verfällt ihm augenblicklich. "Las lange in alten Tagebüchern aus der Klaus-Heuser-Zeit, als ich ein glücklicher Liebhaber. (...) Nun ja - gelebt und geliebt. Schwarze Augen, die Tränen vergossen für mich, geliebte Lippen, die ich küßte, - es war da, auch ich hatte es, ich werd es mir sagen können, wenn ich sterbe", notiert der gealterte Thomas Mann 1942 in seinem Tagebuch über die 15 Jahre zurückliegende Leidenschaft. In "Königsallee" entspinnt sich eine rasante, theaterhafte Komödie mit Auftritten von Manns Kindern Erika und Golo, die Heuser ihre Aufwartung machen. Ob es zu einem Wiedersehen zwischen dem greisen Schriftsteller und dem früheren Geliebten kommt, wird hier nicht verraten.

Beim Lesen von Manns Tausende Seiten umfassenden Tagebüchern war ihm aufgefallen, dass der Name Klaus Heuser immer wieder auftaucht. "Ich habe mir Telefonnummern in Düsseldorf besorgt und Familien mit dem Nachnamen Heuser gesucht, um herauszufinden, was aus Klaus Heuser geworden ist", beschreibt Pleschinski die Entstehungsgeschichte des Romans. Schon beim ersten Anruf habe er eine Verwandte von Klaus Heusers Nichte erreicht, die den Kontakt vermittelte. Schließlich erhielt Pleschinski Zugang zu Heusers Nachlass, ein unsagbarer Schatz, den Pleschinski anschließend Seite für Seite hob. Der Roman "Königsallee" orientiert sich sehr eng an der Wirklichkeit. "Ich mag Fantastereien nicht so sehr. Die wahre Geschichte ist explosiv genug", erläutert Pleschinski.

"Königsallee" ist eine Abhandlung über das Wesen der Liebe und unerfüllte Sehnsucht, vor allem aber ein unterhaltsames Lese- und Hörvergnügen.

Benefizkonzert zu Gunsten des SZ-Adventskalenders mit Hans Pleschinski, Countertenor Kai Wessel und Gitarrist Ulrich Wedemeier. Karten: Volksbank-Raiffeisenbank in der Altstadt Dachau, Lotto-Zeitschriften-Siems GmbH und SZ-Servicestelle Bahnhofstraße 9 in Dachau, Telefon 08131/80746.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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