Beethovens Klaviersonaten:Das gewisse Etwas

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Ronald Brautigam spielt beim Schlosskonzert auf dem modernen Nachbau eines Graf-Flügels. (Foto: Toni Heigl)

Der Pianist Ronald Brautigam beeindruckt beim Schlosskonzert

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Die Klaviersonaten Beethovens bedeuten für Pianisten wie auch für die meisten ihrer Zuhörer insgesamt mehr als alle anderen Klaviersonaten. Kein Klavierwerk wird in seiner Gesamtheit so oft gespielt und auf Tonträger eingespielt wie Beethovens 32 Sonaten. In München und Wien erlebt man das fast Jahr für Jahr. Es war also ein guter Griff, die Dachauer Schlosskonzerte im Beethoven-Jahr 2020 mit Klaviersonaten von Beethoven zu eröffnen. Dafür konnte ein prominenter Pianist gewonnen werden, Ronald Brautigam, der sich vor allem mit seinem Spiel auf dem Hammerklavier einen Namen gemacht hat. Er spielte die neben der "Sonate pathetique" bekanntesten und meistgespielten Klaviersonaten Beethovens, nämlich die Es-Dur-Sonate op. 31/3, die "Waldstein"-Sonate, die Sonate "Les Adieux" und die "Appassionata". Das ist gewiss keine besonders einfallsreiche oder gar exquisite Programmgestaltung, doch Ronald Brautigam konnte dem Abend dennoch eine besondere Note verleihen: Er spielte das ganze Programm nicht etwa auf einem modernen Konzertflügel, sondern auf einem Hammerklavier, dem Nachbau eines Instruments des Beethoven-Zeitgenossen Conrad Graf in Wien.

Wie klingt Beethovens Musik auf einem Instrument seiner Zeit? Die Frage wurde nicht endgültig beantwortet. Brautigam hatte keinen echten Graf-Flügel mitgebracht, sondern nur einen modernen Nachbau. Ein echter Graf-Flügel war einst Beethovens "massivem" Anschlag nicht gewachsen und ging zu Bruch. Der Nachbau ist wesentlich stabiler, aber auch im Klang schon dem im späteren 19. Jahrhundert hoch entwickelten Klavierklang angenähert. Es klang also im Festsaal des Dachauer Schlosses nicht so fremd wie anfangs, aufgrund von Erfahrungen mit dem Spiel auf echten Hammerklavieren der Beethoven-Zeit, vermutet, aber doch deutlich anders.

Das Entscheidende bei jeder Begegnung mit Musik ist ja nicht das Instrument, sondern das Musizieren, und hier zeigte Ronald Brautigam, sicherlich angeregt von seinem Instrument, einen wenig begangenen Weg der Beethoven-Interpretation auf. Er stellte nicht Beethovens Leidenschaft und Pathos in den Vordergrund, was bei vielen Pianisten zu Wucht, ungeheure Kraftentladungen bis zum Tastendonner führt (was sein Instrument ohnehin nicht hergegeben hätte), sondern betonte, dass Beethovens Werk zwar von einer bis dahin unerhörten Gewalt und Tiefe des Ausdrucks, aber doch vor allem Musik ist, die ihren Sinn in sich selber hat. Wenn Beethoven nach dem Sinn dieses oder jenes seiner Klavierwerke gefragt wurde, pflegte er zu sagen, dass sich darauf nur auf dem Klavier antworten lasse, und diese Antworten fielen bei Ronald Brautigam brillant und vor allem auch sehr klar aus.

Natürlich bestach auch er etwa bei der "Waldstein"-Sonate mit ungeahnter Geläufigkeit, als ob seine Hände über die Tasten schweben würden, und bei der "Appassionata" mit ebenso großartiger Gestaltung der Gegensätze und der spieltechnischen Zumutungen dieser Sonate mit ihrer wahrhaft mitreißenden, die Zuhörer mit Bewunderung erfüllenden Schluss-Stretta. "Nur ein Spieler, der für diese Schlüsse noch eine Kraftreserve zur Verfügung hat, wird dem Werk gerecht", meinte der Münchner Beethoven-Spezialist Walter Riezler. Brautigam hatte diese Kraftreserve, aber er protzte damit nicht, er stellte alles, nicht zuletzt seine spieltechnische Überlegenheit, in den Dienst der Klarheit.

Sein Hauptanliegen war wohl das Aufzeigen der musikalischen Strukturen und der "Bedacht" auf die Schönheit der Musik. Er erfüllt damit bei Beethoven eine wesentliche Forderung Mozarts: "die Leidenschaften, heftig oder nicht, müssen niemals bis zum Ekel ausgedrückt sein und die Musik muss, auch in der schaudervollsten Lage, das Ohr niemals beleidigen, sondern doch dabei vergnügen, folglich allzeit Musik bleiben". Auf das "Musik bleiben" kommt es an, und das war die Quintessenz von Brautigams Beethoven-Spiel. Eine Überraschung, vom Publikum mit einem vernehmlichen "Aah!" quittiert, war die Zugabe, das jedem Klavierschüler geläufige "Albumblatt für Elise". Auch bei diesem einfachen, leichten Stück zeigte Ronald Brautigam, wie vorher bei den schwierigsten Sonaten, Beethovens Gestaltungswillen: Klarheit. Wer hätte gedacht, dass dieses scheinbar so einfache Stück so klar gegliedert ist und dass darin so viel Musik und Schönheit steckt.

© SZ vom 20.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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