Barockpicknick:Feiern bis zum donnernden Schlussakkord

Lesezeit: 3 min

Das Barockpicknick lockt 2000 gut gelaunte Besucher zu "Blumes klassischer Harmoniemusik" in den Hofgarten. Ein Gewitter setzt dem Konzert ein vorzeitiges Ende.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Freitagabend, kurz nach halb zehn im Dachauer Hofgarten: Es schüttet wie aus Eimern, geisterhafte Gestalten bewegen sich durchs Dunkel. Der Weg wird nur von ein paar Laternen und Lichterketten erleuchtet, die noch vor ein paar Minuten fröhlich in den Bäumen geschaukelt haben. Doch längst nicht alle der etwa 2000 Barockpicknicker lassen sich ihr alljährliches Vergnügen vermiesen. Decken werden spontan zu Regenumhängen umfunktioniert, unterm Springbrunnen lässt es sich ebenso gut ausharren wie unter den mächtigen Baumkronen. Blumes klassische Harmoniemusik spielt unverdrossen weiter. Kulturamtsleiter Tobias Schneider verkündet die Wasserstandsmeldungen: "In fünf bis zehn Minuten ist alles vorbei", sagt er nach einem Blick auf die Regenradar-App. Kurzfristig ist es auch mit dem Strom vorbei: Im Schloss ist eine Sicherung durchgeknallt. Was soll's, die Stimmung bleibt tiefenentspannt.

Das zeigt sich schon ein paar Stunden zuvor: Zu Fuß, mit dem Radl, dem Motorradroller oder ganz verwegen mit dem Auto geht es den steilen Schlossberg hoch. Erste Überraschung: Die Schlangen an den beiden Eingängen sind absolut überschaubar, also wird es heuer nichts mit dem "Vorpicknick" auf dem Schlossplatz. Eine Mini-Innovation macht's möglich: Erstmals gibt es keine Einlassbänder-um-den-Arm-Klebeprozedur. Die Claims in Bühnennähe sind natürlich längst abgesteckt und werden wieder mal wortgewaltig verteidigt. Kenner wissen aber längst, dass wahres Barockpicknick-Feeling nur im hinteren Gartenteil zu finden ist. Am Eingang zum Englischen Garten hat sich - rein dienstlich, weil Mitarbeiter der Security - ein junger Mann niedergelassen. Die Sitzgelegenheit ist zwar nur eine profane Bierbank. Doch die Aussicht ist hochherrschaftlich. Die Augen haben die Qual der Wahl. Folgen sie der Hauptsichtachse der barocken Gartenanlage (Josef Effner lässt grüßen) aufs Schloss oder mäandern sie über kunstvoll farblich aufeinander abgestimmte Blumenrabatten, schwer tragende Apfelbäume, zum Springbrunnen, zur Bühne, zur Schlossfassade? Doch jetzt sind erst einmal die Ohren gefordert. Mit Georg Friedrich Händels "Wassermusik" beginnt Blumes klassische Harmoniemusik eine fein abgestimmte Folge von Stücken unterschiedlichster Stilrichtungen.

Bei hochsommerlichen Temperaturen und Sonnenschein machen es sich die Besucher im herrschaftlichen Hofgarten des Dachauer Schlosses gemütlich. Kerzen und bunte Lampions verbreiten bei Einbruch der Dämmerung romantische Atmosphäre. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Für die einen spielen Hans Blume (Klarinette), Christelle Lecointe (Oboe), Jörg Oliver Werner (Flöte), Monika Setzke (Horn) und Yoriko Ijir (Fagott) die passende Hintergrundmusik zu müßigem Geplauder oder lebhaftem Ratsch. Andere beamen sich beim Zuhören in ferne Gedankengalaxien. Und fragen sich höchstens noch, welcher Komponist denn mit Tönen so wunderbar malen kann wie es Schlossgärtner Stephan Müller mit seinen Blumen und Staudengewächsen tut.

Harmonie heißt das Schlüsselwort dieses Abends. Diese findet auf so manchem Tafelarrangement wieder. Wobei die blendend weiße Tischdecke und das funkelnde Kristall eher die Ausnahme ist als die Regel. Angesagt sind heuer quietschbunte (Plastik-)Gläser, praktische Tupperware für allseits beliebte Tomaten-Mozzarella-Spießchen oder deftige Brotzeiten. Voll im Trend liegt auch, wer sich einen edlen, stilvollen Weiden-Picknickkorb nebst noblem Interieur zugelegt hat. So ein altes Schätzchen adelt sogar die Fleischpflanzerl aus dem Supermarkt. Zwischen Sesseln, Decken und einem knallgelben Sonnenschirm - und selbstredend vor der Bühne - tummeln sich auffallend viele Kinder. Das Barockpicknick ist längst ein Familienfest geworden. Mütter werfen gekonnt die selbstaufblasende Strandmuschel unter einen Apfelbaum und bauen dem Baby ein temporäres Nest. Väter schieben geduldig spacige Kinderwagen über die Kieswege. Buben und Mädchen haben jenseits des auch im 21. Jahrhundert noch für Dates beliebten Laubengangs ihre eigene Fußballarena. Ein paar alteingesessene Dachauerinnen haben es sich auf den Bänken mit Blick auf München bequem gemacht und kommentieren kundig das Welt- und Stadtgeschehen. Ihre Picknickbegleiter sind ein guter Wein und guter Käse, den sie großzügig mit allen teilen, die sich für einen kleinen Ratsch einfinden. Die Damen sind ausgewiesene Hofgarten-Fans, kennen gewissermaßen jeden Baum persönlich - und unendlich viele Geschichten.

Als es zu regnen beginnt, flüchten viele Besucher, die anderen nutzen ihre Picknickdecke als Regenschutz und feiern fröhlich weiter. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Es dämmert allmählich - und so manchem dämmert, dass heuer die Fackeln und Laternen nicht so lange brennen werden. Die Übervorsichtigen packen schon mal zusammen, beladen Bollerwagen und Schubkarren mit allem, was man so fürs Picknick dringend (nicht) braucht. Doch der Regen verzieht sich irgendwann, der Stromausfall ist schnell behoben. Dunkelheit umhüllt die Hardcore-Picknicker wie ein schützender Mantel, Blumes Harmoniemusik macht ihrem Namen alle Ehre - bis Blitz und Donner mit einem furiosen Schlussakkord für ein spektakuläres Ende eines friedlich-fröhlichen Abends sorgen.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: