Ausstellung:Kunstvolle Heiligenscheine

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"Es darf schon etwas provokant sein": Jeremias Huber, 22. (Foto: Toni Heigl)

Der Comic-Zeichner Jeremias Huber präsentiert eine neue Ästhetik des Sakralen in der Kleinen Altstadtgalerie

Von Gregor Schiegl, Dachau

Von wegen Kitsch. Diese Engel sind keine lieblichen Wesen mit wallenden Gewändern und güldenem Haar, diese Engel sind kantige Körpermaschinen an dicken Eisenketten. Lilith und Samael sind nach allen Regeln der sadistischen Künste verschnürt, wuchtige Schlösser hängen an den Keuschheitsgürteln zwischen ihren muskulösen Beinen, und der armen Lilith wurde mit einem Lederriemen auch noch ein Knebelball in den Mund geschnallt. Es ist, als hätten sich Fra Angelico, H.R. Giger, Beate Uhse zusammengetan, ein verstörendes Pandämonium zu entwerfen, eine Heerschar geknechteter Cyber-Engel mitästhetischen Anleihen von Gotik, Jugendstil und Superhelden-Comic, so was sieht man wirklich nicht alle Tage.

"Garden of Decay" ist der düstere Titel der Ausstellung, die derzeit in der Kleinen Altstadtgalerie Dachau zu sehen ist. Es ist das erste Mal, dass der erst 22 Jahre alte Künstler Jeremias Huber aus Ostermünchen seine Arbeiten der Öffentlichkeit präsentiert. "Ich mag es gerne ein bisschen morbide", sagt Huber. Schon lange ist der Comic-Zeichner fasziniert von alten Mythen, von griechischen Göttern, alten heidnischen Gottheiten, von den Engeln aus dem Alten Testament und den Apokryphen, wo sie oft nach grandiosem Scheitern abstürzen in den niederen Stand der Dämonen, siehe Luzifer.

Jeremias Huber hat einen eigenen Ansatz: "Die Engel sind erhabene Wesen, aber sie sind gefangen in ihrem Dasein", erklärt er. Als Diener einer übermächtigen Idee bleiben die Engel selbst nur Werkzeug einer mächtigen Idee, "eine hilflose Hülle", weil sie sich selbst verleugnen müssen, ihre eigenen Bedürfnisse, ihre Gefühle, auch ihre Sexualität. Dieser Widerspruch fasziniert ihn, und er findet bei Huber künstlerischen Niederschlag in der Darstellung der Engel als gepeinigte Über-Kreaturen von kalter technischer Ästhetik bis hin zur Farbwahl - kalte Metalltöne dominieren - und ostentativer Körperlichkeit. Aber Engel mit drallen Brüsten und harten Nippeln im SM-Geschirr, ist das nicht vielleicht doch etwas gewagt? "Es darf schon etwas provokant sein", sagt Huber. Was nicht heißt, dass er es darauf anlegen würde, Anstoß zu erregen. Er mixe sich seine "eigene Mythologie" zusammen, erklärt der Künstler, der seinen Lebensunterhalt mit Illustrationen und Computerspiel-Design verdient. Mit christlicher Religion habe das nicht viel zu tun - trotz der vielen sakralen Anleihen und Stilmittel.

Interessanter als Hubers Idee ist aber deren künstlerische Umsetzung. Schön kann man in der Ausstellung nachvollziehen, wie der Newcomer eine eigene Formsprache für die Darstellung seiner Engel findet, die kunstvoll Elemente von Gotik, Jugendstil, Cyberpunk, aber auch traditioneller Ikonografie miteinander verbindet: So sind die segmentierten "Heiligenscheine" wie halbkreisförmig angeordnete Mini-Comics, die die Geschichten des jeweiligen Engels erzählen.

Es ist erfrischend zu sehen, wie Huber an der Schnittstelle von Comic und Malerei eine neue Ästhetik des Sakralen erschafft, die gleichermaßen archaisch und visionär und modern wirkt.

Jeremias Huber: "Garden of Decay". Die Ausstellung ist bis 22. Dezember in der Kleinen Altstadtgalerie zu sehen. Öffnungszeiten Donnerstag und Freitag 18 bis 20 Uhr, Sonntag 14 bis 16 Uhr.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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