Auch wenn die meisten Finnen inzwischen in der Stadt leben, gelten sie immer noch als sehr naturverbunden. Diese Verbundenheit ist auch in der zeitgenössischen Kunst zu spüren, das zeigt die kleine, aber feine Ausstellung in der Neuen Galerie Dachau. Sie trägt den Titel "Finnische Künstler und ihre Landschaft" und ergänzt nicht nur sehr schön die eher kunsthistorische Ausstellung in Gemäldegalerie über die finnische Künstlerkolonie Önningeby, sie fällt auch noch zeitlich mit dem 100. Geburtstag Finnlands am 6. Dezember zusammen. "Das hat uns richtig gut reingepasst", sagt Kuratorin Jutta Mannes und lacht. "Für Finnen ist Landschaft etwas Nationales: Das ist Heimat."
In dieser Hinsicht sind die Finnen den waldromantischen Deutschen vielleicht doch wesensverwandt, und so weit auseinander, wie man denkt, leben Finnen und Deutsche auch nicht auseinander: Allein in München soll es etwa 600 Finnen geben, darunter mindestens drei Künstler. Zwei von ihnen sind in der Dachauer Ausstellung mit ihren Arbeiten vertreten, sowie fünf weitere finnische Künstler und ein Oberpfälzer, der seit 20 Jahren im hohen Norden lebt. Albert Brauns transparenten Banner gedruckten Fotos sind das erste, was der Ausstellungsbesucher sieht. Plakativ beleuchtet er die Auseinandersetzungen um das geplante neue Kernkraftwerk Hanhikivi. Fast 100 Hektar Wald wurden für das Energieprojekt abgeholzt. Braun zeigt diese Verwüstungen ebenso wie die Schriftzüge protestierender Umweltschützer. Ein Banner ist weiß. Ist das das offene Ende? Der finale Lichtblitz einer Atomkatastrophe? Das Eingeständnis, dass jede Darstellung der Wirklichkeit lückenhaft bleiben muss? Man weiß es nicht. Aber manchmal sind die Fragen wichtiger als die Antworten.
Aki Koskinen und Kjell Ekström zeigen Finnland in stillen Winterlandschaften, wobei der Aquarellist Ekström mit einer Vielfalt verlaufender Grau- und Blautöne eine eisige Räumlichkeit erzeugt, und gerade den Schnee, der so viel Fläche einnimmt, gerade nicht zu malen. Trotzdem sieht man ihn: Der Schnee ist das leere Weiß der Leinwand. Der Eindruck der Bilder ist so stark, das Jutta Mannes den ersten Ausstellungsraum bereits "das Winterzimmer" getauft hat.
Die erstaunlicheren und daher vielleicht noch spannenderen Arbeiten gibt es im zweiten Raum, an dessen Entree Essi Utriainen Landschaftsidyllen aus winzigen farbigen Glassplittern zeigt, die erhitzt und angeschmolzen wurden und eine glitzernde Oberflächenbeschaffenheit haben wie Schnee. Meist stellen die Bilder schwarze Silhouetten nordischer Bäume vor einem knallbunten Himmel dar. Echte Heimatliebe kennt keine Angst vor Kitsch. Tiina Lamminen hat den Blick auf einen See reduziert auf Linien aus den Grundfarben Gelb, Rot und Blau. Erst bei nähere Betrachtung schält sich aus dem abstrakten Liniengewirr wieder eine Landschaft heraus. Anna Kiiskinen betrachtet die Natur in ihren Bildern im Spiegel einer Wasseroberfläche: Wo der Schatten der Baumkronen aufs Wasser fällt, weicht gibt die Himmelsspiegelung den Blick auf die Steine am Grund frei, und leicht Verzerrungen im Geäst zeigen, wie das Wasser sich bewegt.
Ungewöhnlich sind auch Talvikki Lehtinens Bronzeskulpturen. Die Künstlerin bildet mit der Legierung feinsten Pflanzenstrukturen nach. Schon durch die besondere Beschaffenheit des Materials sind diese Arbeiten weitaus mehr als naturalistische Imitationen: Manche Stellen glänzen, im Wurzelwerk nistet der Grünspan. Auch eine Videoinstallation ist zu sehen. In etwas mehr als sieben Minuten führt Marko Lampisuo durch ein ganzes finnisches Jahr: Man sieht 365 Baumbilder mit Ausschnitten, die entsprechend der jeweiligen Tageslänge wachsen und schrumpfen. Und wachsen und schrumpfen. Alles verändert sich. Und alles wiederholt sich. Aber langweilig wird es nie. Die mit Musik unterlegten Bilder erzeugen einen Sog, der mit fortschreitender Dauer immer stärker wird, und man ertappt sich bei dem Gedenken, dass es doch mal höchste Zeit wäre, in dieses sagenhafte Finnland zu fahren.
Finnische Künstler und ihre Landschaft. Neue Galerie Dachau. Zu sehen bis 25. Februar 2018.