Ausstellung in der Gemäldegalerie:Im Schatten des Altbekannten

Lesezeit: 3 min

Die Ausstellung zum 100. Geburtstag der Künstlervereinigung Dachau ist ihrer allerersten 1919 im Schloss nachempfunden. Sie soll die Zerrissenheit jener Zeit zeigen, bietet gar Neuentdeckungen, bleibt aber doch zu sehr dem längst Gesehenen verhaftet

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die Revolution nach dem Ersten Weltkrieg mit ihren Arbeiter- und Soldatenräten war längst vorbei, als sich am 8. Juni 1919 im Dachauer Hörhammerbräu der "Rat geistiger Arbeiter" gründete. "Es war dies ein ganz ideal gedachter, aber oft unklarer und verworrener Versuch, das kulturelle Leben zu heben, der Trostlosigkeit der allgemeinen Lage geistige und künstlerische Werte gegenüberzustellen, eine im Hader der Parteien zerrissene Gesellschaft zusammenzuführen." So formulierte es Carl Thiemann in seinen Erinnerungen. Der Secessionskünstler war lange Jahre Vorsitzender der Künstlervereinigung Dachau, KVD, die aus dem Rat der geistigen Arbeiter hervorgegangen ist. Vermutlich wegen Unstimmigkeiten waren die Künstler aus dem Rat auf breiter Front wieder ausgetreten, erst 1927 gründete sich die Gruppierung als Künstlervereinigung Dachau offiziell wieder.

Die Vielfalt der Werke macht die Ausstellung in der Gemäldegalerie stellenweise etwas unübersichtlich. Im Vordergrund Wilhelm Neuhäusers "Mohrle" um 1925, Keramik glasiert. (Foto: Toni Heigl)

Größte Gruppe im "Rat geistiger Arbeiter" waren die bildenden Künstler, insgesamt 44 Personen; den Vorsitz hatte der Maler Felix Bürgers. Die 44 Künstler, die auf der ersten Schlossausstellung im Juni 1919 ihre Werke zeigten, - in alten Presseberichten vermerkt sind "153 Oelgemälde und 115 Werke der Graphik" - kommen nun in einer Jubiläumsausstellung in der Dachauer Gemäldegalerie wieder zu Ehren. Aus Lagerbeständen, zum Teil auch aus Privatbesitz, hat Kuratorin Elisabeth Boser für die Ausstellung "Die Anfänge der Künstlergruppe Dachau" zusammengetragen. Es ist kein Remake der Schau von 1919, sondern der Versuch einer Annäherung an die erste Künstlergeneration. Ein Versuch deshalb, weil nicht zu allen Malern Bilder aufzutreiben waren, teils musste sich Boser mit Reproduktionen behelfen, teils auf Bilder zurückgreifen, die erst in den Zwanziger- und Dreißigerjahren entstanden sind, also unmöglich schon 1919 zu sehen gewesen sein können.

Der Maler Karl Schröder-Tapiau (1870-1945) im Selbstportrait, um 1920. (Foto: oh)

Es ist eine Zeit des Umbruchs, der inneren Aufruhr und der nagenden Ungewissheit, in gewisser Weise der heutigen Zeit nicht unähnlich. Zur Vernissage liest Oberbürgermeister Florian Hartmann die Eröffnungsrede Felix Bürgers' zur Ausstellung von 1919 vor, die ungeachtet jenseits ihres pathetischen Duktus' auch heute noch erstaunlich aktuell klingt: Da wird die Schärfe gegensätzlicher Positionen in der Gesellschaft beklagt, die unversöhnlich aufeinander prallen, wo doch Ausgleich vonnöten sei für "ein friedliches Zusammenleben". Auch der Umweltschutz ist bereits ein zentrales Anliegen: "die Schönheiten der Natur zu heben und zu pflegen, vor Zerstörung zu bewahren, das, was Menschenhand schafft, harmonisch einzufügen".

Die Revolutionswirren dokumentiert Paula Wimmer (1876-1971) in Radierungen wie "Die Weißen in Dachau" von 1919. (Foto: oh)

Das klingt nach Programmatik, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Künstlervereinigung damals wie heute vor allem eine Versammlung kreativer Individualisten ist. Neben den bekannten Namen, Paula Wimmer, Carl Thiemann, Hermann Stockmann, Otto Wirsching oder Giulio Beda finden sich im Reigen der Künstler auch einige veritable Neuentdeckungen. Besonders sehenswert: die gleichermaßen eleganten wie fantastischen Lithografien von Jean Jacques Vrieslander. "Diesen Künstler kannte ich davor auch noch nicht", bekennt Kuratorin Elisabeth Boser. Natürlich sieht man auch viele vertraute Motive, Stadtansichten, Jakobskirche, auch die Auseinandersetzung roter und weißer Kampfeinheiten in Dachau findet künstlerisch ihren Niederschlag. Daneben politische Karikaturen: Carl Olof Petersen, der auch für den Simplicissimus zeichnete, zeigt den "Frieden am Balkan" als gerupften Engel, der zwischen Leichen und Trümmerbergen steht.

Jean Jaques Vrieslander (1879-1957): "Dialogue", um 1905, Lithografie. (Foto: oh)

"Ich will die Zerrissenheit dieser Zeit zeigen", sagt Boser: die Zerrissenheit zwischen scharfer politischer Kommentierung des Zeitgeschehens und dem Eskapismus in eine Heile-Welt-Idylle. Nur leider verwischt die Ausstellung diese Gegensätze. Geordnet sind die Bilder alphabetisch nach den Namen der Künstler, von Beda bis Zwiedeneck-Cloeter, was ein einfaches, aber nicht unbedingt zweckmäßiges Ordnungsprinzip ist. Im ehrenwerten Bestreben, alle Künstler gleichberechtigt zu präsentieren, entsteht bisweilen der Eindruck eines willkürlichen Sammelsuriums. Man stöbert, schaut und staunt wie auf einem Flohmarkt. Vieles hängt zusammenhangslos nebeneinander, der "Sitzende Akt" von Hans Müller-Dachau entspannt sich zwischen elegischen Naturbildern, ums Eck leuchtet Carl Friedrich Felbers von feurigem Abendlicht durchwirktes Ölgemälde "Tannen und Birken im Winter", während sich über alle Wände verteilt diverse Tiere tummeln, Ziegen, Pferde und der Terrier "Foxl", im Eck posiert ein Äffchen aus Porzellan vom Modelleur Wilhelm Neuhäuser, dazwischen Selbstporträts und bukolische Idylle.

Karl Schröder-Tapiau kam 1911 nach Dachau. Seine "Ansicht von Dachau" entstand um das Jahr 1920. (Foto: Toni Heigl)

"Ich habe die Bilder ausgewählt, die die Künstler wahrscheinlich selbst ausgewählt hätten, um sich im bestmöglichen Licht zu präsentieren", erklärt Boser. Das ist keine schlechte Idee, weil die erste Schlossausstellung nicht zuletzt wirtschaftlichen Interessen dienten. Die Zeiten waren hart, überall wurde gespart, die Künstler darbten und mussten was verkaufen. Nur: Welche Bilder hätten die Künstler damals wirklich ausgewählt? Und wie aussagekräftig wäre diese Auswahl dann über die wahren Verhältnisse der damaligen Zeit? Die Ausstellung vermittelt viele schöne Impressionen, nur leider viel zu wenige Informationen. Vielleicht hätte man gleich so mutig sein sollen, sich auf die vergessenen Künstler zu konzentrieren und dafür die altbekannten Stockmanns und Müller-Dachaus im Depot zu lassen. So bleibt das Neue und Spannende, das diese Schau zutage fördert, leider allzu sehr im Schatten des Altbekannten und schon hundertmal Gesehenen.

Die Anfänge der Künstlergruppe Dachau. Ausstellung in der Gemäldegalerie Dachau. Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag, 11 bis 17 Uhr; Samstag, Sonntag und Feiertag 13 bis 17 Uhr. Die Ausstellung geht noch bis zum 15. September.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: