Ausstellung:Die Unvergleichlichen

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Der Dachauer Wasserturm zeigt 74 Werke des eigenwilligen Künstlers Fred Arnus Zigldrum und seines Lehrers, des Spätexpressionisten Joles Schultheis. Die Bilder stammen aus den Sammlungen der Familien Allwang und Lochner. Viele Arbeiten sind zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zu sehen

Von Gregor Schiegl, Dachau

Clown-Porträts und Frauenakte, leuchtend bunte Landschaften und erloschene Sonnen, expressive Striche und flächige Formen. Schwer zu sagen, was einen mehr verblüfft an dieser Doppelausstellung im Dachauer Wasserturm, die Gegensätze oder die immer wieder unerwartet aufscheinenden Gemeinsamkeiten der beiden ausgestellten Künstler: Während Fred Arnus Zigldrum gerne mit kraftvoll leuchtenden, manchmal regelrecht schreienden Farben arbeitete, reduzierte Joles Schultheis die Palette auf zumeist matte graustichige Töne. Manchmal sieht es aus, als hätte er die Welt nach einem Vulkanausbruch gemalt: Alles ist verhangen von einem stumpfen Grau, die Sonne findet sich nur noch als erloschene Kugel am Firmament. Aber bei näherem Hinsehen blühen unter dem Grau zarte Pastelltöne, Mint, Rosa, Senfgelb.

Bei manchen flächig aufgelösten Landschaftsgemälden schielt man doch mit einem Auge auf die Signatur, weil man nicht so ganz sicher ist, wer nun wirklich Urheber dieses Bildes ist - der vom Krieg und einer Gefängnisstrafe gebrochene Expressionist Joles Schultheis, der trotz Fürsprache seines berühmten Freunds Max Pechstein in der Berliner Gesellschaft nie mehr so richtig Fuß fassen konnte, oder sein genialischer Schüler Fred Arnus Zigldrum, der Vincent van Gogh bewunderte, und genauso wie sein großes Idol zu Lebzeiten oft nicht die Anerkennung erfuhr, die er posthum bekam.

Heute gilt Zigldrum als einer der bedeutendsten Künstler, die der Landkreis Dachau im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Sein Lehrer Joles Schultheis ist weniger bekannt, obwohl es in den vergangenen 30 Jahren immerhin drei Ausstellungen zu ihm im Landkreis gegeben hat, die letzte fand 2012 in der Gemäldegalerie Dachau statt.

Dass man die Werke dieser kongenialen Künstler erstmals gemeinsam sehen kann, ist das Verdienst der beiden Dachauer Sammlerfamilien Lochner und Allwang. Die Allwangs sammeln schon seit 40 Jahren mit großer Begeisterung Zigldrums Bilder, doch jetzt sind die Wände zuhause voll, und Hilde und Karl Allwang wollen endlich wieder mal Platz für Neues.

Für das kunstinteressierte Publikum in Dachau ist das ein Glücksfall. "Ein Großteil unserer Bilder wurde in der Öffentlichkeit noch nie gezeigt", sagt Karl Allwang nicht ohne Stolz. Jetzt kann man sie nicht nur sehen, sogar viele davon kaufen. Die Bilder von Joles Schultheis - auch von ihnen sind einige käuflich zu erwerben - hat der Dachauer Sammler Josef Lochner beigesteuert. Das Publikum der Großen Kreisstadt hat er in den vergangenen Jahren schon mit einigen hochkarätigen Gratis-Ausstellungen beglückt, zuletzt mit Werken von Markus Lüpertz und Grafiken von Josef Beuys. Immer mit im Boot sind Dieter Rothe und Gerhard Niedermair vom Wasserturm-Team, die für eine stimmige Hängung verantwortlich zeichnen, was diesmal eine besonders knifflige Aufgabe war: Man kann bei Schultheis und Zigldrum weder von einem Gegensatzpaar sprechen noch von Komplementären, Zigldrum ist auch nicht die schlichte Fortsetzung und Weiterentwicklung dessen, was Schultheis begonnen hat. Es gibt Überschneidungen und künstlerische Wechselwirkungen, die man durch die geschickte Bilderanordnung nun leichter entdecken kann, insbesondere in der oft flächig reduzierten Darstellung.

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(Foto: Toni Heigl)

Der Akt "Karinchen macht Brücke" (Öl auf Karton, 1976) von Fred Arnus Zigldrum.

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(Foto: Toni Heigl)

Das Gemälde "Clown-Orchester" (1963) von Joles Schultheis.

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(Foto: Josef Lochner)

Selbstporträt von Joles Schultheis.

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(Foto: Josef Lochner)

Collage von Zigldrum.

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(Foto: Toni Heigl)

Josef Lochner (links) ist ein Fan von Schultheis, Hilde und Karl Allwang begeistern sich für Zigldrum.

Wie einfach wäre es gewesen, die Bilder chronologisch und nach Techniken zu sortieren, aber wie fruchtlos: Man hätte zwei zusammenhanglos nebeneinanderstehende Ausstellungen bekommen. Hier erhellen sich zwei Oeuvres wechselseitig. Hilfreich ist auch, dass die Vita der Künstler in kurzen Abrissen dargestellt wird. Wie sein großes Idol van Gogh erlebte auch Fred Arnus Zigldrum manche Kränkung: 1971 verweigerte ihm die Künstlervereinigung Dachau (KVD) die Aufnahme. Eine Zurückweisung, die für den sensiblen Künstler, der zeitlebens nach seinem wahren Ich suchte, schmerzhaft gewesen sein muss.

Der damals recht altehrwürdige Künstlerverein in Dachau und das Enfant terrible aus Hebertshausen hätten wohl auch nicht gut harmoniert. Zigldrum zelebrierte seine Unangepasstheit radikal, er feierte rauschende Partys, liebte dröhnende Musik und pflegte einen bacchantischen Lebensstil bis zu seinem viel zu frühen Ende: 1984 starb der an Diabetes leidende Künstler mit nur 43 Jahren, nachdem er in ein Unterzuckerkoma gefallen war. "Live fast, die young", frei nach Janis Joplin.

Sein rauschhaftes Leben findet auch Niederschlag in manchem Werk - karikaturhaft im Ölbild "Kasimir nach einer durchsoffenen Nacht früh 5 Uhr", in der ein Mann mit Halbglatze die bleiche Stirn auf den kotzgrün leuchtenden Arm stützt. Oder melancholisch beim Portrait "Angie, traurig mit Bierflasche": Kauernd sitzt die junge Frau im Atelier, die aufgelöste schwarze Mähne fließt ihr üppig über die nackten Arme; während sie den Betrachter anschaut, klammert sie sich mit beiden Händen an die Bierflasche wie zum Schutz vor den Körper haltend. Diese Darstellung von Verletzlichkeit ist eher untypisch für Zigldrums Frauengemälde. Meist porträtierte er sie in dröhnenden Aktbildern, er lässt die Körper darin förmlich glühen vor erotischer Energie, die Striche sind kräftig, manche Farben lodern wie Feuer, orangerot, gleichermaßen ein Konzentrat von Lebenslust und Liebe.

Daneben sieht man experimentelle künstlerische Exkurse: Zeichnungen in allen Varianten, Grafiken, Drucke und Collagen, abstrakt, komisch, obszön, große Kunst und launiges Gekrakel. Den "Apfelstrudel von Heinz' Mutter" (gemeint ist sein Freund Heinz Braun) hat er als Pastellbild auf Papier verewigt. Man sieht den Strudel in der Form, ein Stück verzehrbereit auf dem Teller, im Hintergrund den Ofen mit offener Klappe - eine Verneigung vor dem kulinarischen Schaffensprozess.

Der gebürtige Frankfurter Karl Bickel, der sich wie Fred Zigldrum später den Nachnamen seiner Frau aneignete, kam in den 1950er Jahren nach Süddeutschland, wo er sich der Künstlergruppe "Der Rote Reiter" anschloss. Mit seiner Lebensgefährtin, der Malerin Martha von Schobert, lebte er viele Jahre zurückgezogen in Deutenhofen, später im Hackermoos. Von ihm gibt es ein bezeichnendes Selbstporträt in der Ausstellung. Es zeigt einen mit klaren Linien gemalten Raum, vorne ein Tisch mit Vase, Teller und Buch, hinten ein Fenster mit Blick auf die Stadt, multiperspektivisch, wie man es von Picasso kennt, und mittendrin eine klecksige Gestalt, das Gesicht wie ein unscharfes Flimmern, als wäre es nur ein Phantom.

Vielleicht hat sich Schultheis auch so gefühlt. Er gehört zur "verlorenen Generation". Der Expressionismus wurde von den Nazis als "entartete Kunst" diffamiert. Für einen Mann wir Schultheis bedeutete das faktisch Berufsverbot. Nach dem Krieg wurde es auch nichts mehr mit der großen Karriere. 1949 wurde er verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Zeitzeugen behaupten, er sei wegen unrechtmäßigen Besitzes von Kunstwerken verurteilt worden. "Ich versuche seit Jahren herauszufinden, was damals wirklich passiert ist", sagt Josef Lochner. Aber die Gerichtsakten, die ihm Auskunft geben können, sind einem Wasserschaden zum Opfer gefallen.

Häufig bedient sich Schultheis in seinem Motiven der Zirkuswelt, doch heiter ist hier nichts. Ein Orchester aus Clowns spielt ohne Publikum auf, im Hintergrund dräuen graue und schwarze Flächen wie Silhouetten von Trümmerbergen. Den "Clown mit Sonne", der ebenfalls zu sehen ist, soll er als sein Alter Ego aus der Zeit in Ampermoching bezeichnet haben. Darauf lächelt er, ganz zaghaft, in die kleine, aber erkennbar gelbe Sonne.

Schultheis starb 1988 im Alter von 82 Jahren , vier Jahre nach Zigldrum.

Fred Arnus Zigldrum / Joles Schultheis: Ausstellung im Dachauer Wasserturm. Öffnungszeiten Freitag 16 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr. Noch zu sehen bis 2. Dezember.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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