Ausstellung:Das blühende Leben

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Paul Havermann zeigt in der Dachauer Volksbank Gartenlandschaften und Freizeitszenen von verführerischer Farbfülle. Dabei geht es nicht nur um impressionistische Virtuosität, sondern auch um die Sensibilisierung für existenzielle Fragen

Von Gregor Schiegl

Rosenrot, sonnengelb und schattenblau, lindgrün und saftig-orange. Es ist ein kunterbuntes Panoptikum lebenspraller Paradiese, das der Dachauer Künstler Paul Havermann in seiner neuesten Ausstellung unter dem Titel "Traum und Wirklichkeit" groß- und kleinformatig präsentiert. Einziges Handicap bei der Vernissage am Mittwoch in der Dachauer Volksbank-Raiffeisenbank: Man sieht die Kunst vor lauter Leuten nicht. Nach vorsichtigen Schätzungen sind 300 Besucher gekommen, jedenfalls sind nach der Eröffnung alle 200 ausgelegten Kataloge weg, 1000 Gläser wandern nach diesem Abend in die Spülmaschine. Gastgeber Karl-Heinz Hempel, Vorstandsmitglied der Volksbank, freut es: In der Reihe "Kunst und Bank" gehe es darum, Menschen zusammenzubringen, sagt er, und sich über Kunst auszutauschen. Menschen sind genug da, Kunst auch. Und mittendrin Paul Havermann gut getarnt im dezentem hellblauen Hemd mit roten Tupfern.

Amaryllis: Das letzte üppige Bersten der Farben vor dem Welken. (Foto: Toni Heigl)

Bevor man auf die Werke zu sprechen kommt, muss man einige Worte über den Künstler verlieren, um zu begreifen, warum diese Ausstellung so einen rekordverdächtigen Andrang auslöst: Paul Havermann ist einer der bekanntesten Künstler in Dachau und im Landkreis. Seit vielen Jahren unterhält er ein Atelier in Stetten bei Schwabhausen, das zum kleinen Kunstzentrum geworden ist. Havermann ist aktives Mitglied der Künstlervereinigung Dachau und Gründungsmitglied des Architekturforums. Als Kunstlehrer an den beiden Dachauer Gymnasien unterrichtete er Generationen von Schülern. Ein Mann in schwarzer Jacke steuert breit grinsend auf ihn zu: "Kennen Sie mich noch? Ich war auch mal bei Ihnen." Havermann ist eine so zentrale Figur im öffentlichen Leben der Stadt, dass es schier unmöglich ist, am Eröffnungsabend ein Gespräch mit ihm zu führen. Überall recken sich Hände zum Schütteln, von allen Seiten Schulterklopfen. "Wenn ich du wäre, würd' ich weitermachen", flachst ein älterer Herr.

Das Ensemble besteht aus Philipp Doben, Fanni Simperl und Tavita Paoatuki. (Foto: Toni Heigl)

Die Farbwucht seiner zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion flirrenden Bilder erinnert nicht zufällig an das Werk des Malers Rudi Tröger; der war Havermanns Lehrer und erkennbar stilprägend. "Farbe ist mein Hauptthema", sagt Havermann. Jahrelang hat er sich auch intensiv mit Farbpsychologie beschäftigt und das ist nicht nur graue Theorie. Von der Wirkmächtigkeit der Farben kann sich jeder Besucher bei dieser Ausstellung selbst überzeugen. Der rauschhafte Gelbton des "Goldregens" wärmt förmlich die Haut, das satte Grün der Gartenszenen wirkt erfrischend feucht, und das Pfingstrosenpastell foppt die Geruchsrezeptoren mit süßen Phantomdüften. Man kann in Havermanns Idyllen ebenso eintauchen wie beim großen Impressionisten Claude Monet. Bärbel Schäfer, Kunsthistorikerin und Kuratorin der Ausstellung, schwärmt von den "schwelgenden Farben" in Havermanns Bilder, die eine "unbeschwerte Heiterkeit" ausstrahlen: "Er malt die reine Lebensfreude."

Bekenntnis zur Natur

Menschen sieht man auf den Bildern selten und wenn, dann oft nur als Schemen, die sich im Gewirr von Blumen und Blättern aufzulösen scheinen. Havermann selbst spricht von einer "Verführung" des Betrachters und das keineswegs im Sinne eines Sich-Wegträumens aus der Wirklichkeit: Vor einigen Wochen war in der Volksbank eine Ausstellung des Bunds Naturschutz zu sehen, Titel "Tatort Garten". Darin waren grausige Beispiele moderner Gartentrends zu sehen, öde Steingärten, Gabionenungetüme, pflegeleichte Vorstadthöllen ohne Grün und Blütenschmuck. Für den Gartenliebhaber Havermann sind die Bilder der Ausstellung, die größtenteils erst im vergangenen Dreivierteljahr entstanden sind, "quasi ein Gegenentwurf" zu diesem Trend. Ein bewusstes, im besten Sinne geerdetes Leben, jenseits von digitaler Dauerberieselung und oberflächlichem Konsumismus.

Zur Vernissage sind etwa 300 Gäste erschienen. Hier neben Paul Havermann OB Florian Hartmann. (Foto: Toni Heigl)

Havermann ist einer, der sich einmischt, ein politischer Mensch, ein politischer Künstler. Er hat gegen Wackersdorf demonstriert und ist auch gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetzt auf die Straße gegangen. Wer das nicht weiß, könnte seine Bilder für eskapistischen Ästhetizismus halten: Natur und Freizeitszenen in süßer Farbpracht, Rückzug ins private Gärtlein, Peripetie in bonbonbunten Traumkulissen, ausgebreitet in Blumenlandschaften oder destilliert in feinsinnig komponierten Stillleben. Aber in Dachau kennt man ihn ja, den Havermann. Oberbürgermeister Florian Hartmann würdigt ihn als "feste Größe" in der zeitgenössischen Kunstszene der Stadt und erinnert auch an seine Gestaltung des Turms an der Scheierlmühle, die bunte Fassade am Simperl-Haus oder die preisgekrönte Farbgestaltung der Augustenfelder Schule: Havermann sei einer, der das Gesicht seiner Heimat mitgestalte. Jetzt geht es eben weniger um Gebäude als um die Gärten.

"Ein nie endender Prozess"

Natürlich steht der Garten - der echte ,naturnahe Garten - noch für viel mehr: fürs Paradies, für einen Sehnsuchtsort, an dem der Mensch mit sich und der Welt im Reinen ist. Wer einen Garten hat, weiß, dass diese Pracht auch Arbeit bedeutet und dass manches Pflänzchen partout nicht gedeihen will, da wo man es zieht. "Es ist der ständige Versuch, Vergänglichkeit und Ewigkeit zu vereinen, ein nie endender Prozess", sagt Paul Havermann. So erkläre sich auch der Titel der Ausstellung "Traum und Wirklichkeit". In der Malerei sei es genauso: Auch hier gebe es "das geplante Vorgehen, das Einbeziehen des Zufalls, das Akzeptieren und Verwerfen eines Zustands bis hin zur Verdichtung in einem bestimmten Moment".

Das sieht man besonders schön an der Amaryllis-Serie. Zum 65. Geburtstag bekam Havermann einen Strauß der prächtigen roten Blumen geschenkt. Er fing die unerhörte Farbexplosion in einem kleinformatigen Bild ein, schuf weitere Stillleben, die auch das Welken und Vergehen einfangen - bis hin zur leeren Vase, neben der nur noch verdorrte Blütenblätterliegen. Es ist der klassische Zweiklang, den man aus dem Barock kennt: "carpe diem" und "memento mori", die Schönheit des Lebens und seine Vergänglichkeit, die Havermann elegant und anrührend zu transportieren weiß, ohne Schwulst und theatralisch drapierte Totenschädel. "Er will den Betrachter erst über Sinne und Herz ansprechen, dann erst über den Verstand", sagt Karl-Heinz Hempel, Vorstandsmitglied der Dachauer Volksbank.

Wenn Havermanns heitere Ausstellung in der Volksbank dazu beitragen kann, Dachaus Gärten wieder zum Erblühen zu bringen, erwüchse aus dem Traum eine wunderbare Wirklichkeit. Blumenkinder, an die Arbeit!

"Traum und Wirklichkeit": Ausstellung von Paul Havermann in der Hauptstelle der Volksbank-Raiffeisenbank Dachau, Augsburger Straße 3, zu sehen bis 13. Juli. Weitere Arbeiten des Künstlers können an den vier Sonntagen, 17. und 24. Juni sowie 1. und 8. Juli jeweils von 14 bis 17 Uhr in seinem Atelier in Stetten besichtigt werden.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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