Aus dem Gericht:Mann fällt im Zug über Frau her

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Der 37-jährige Angeklagte bestreitet die Tat. Der Prozess wird fortgesetzt

Dazu, was wirklich in der Regionalbahn RB 59174 von München nach Ingolstadt in der Nacht des 30. April dieses Jahres geschehen ist, gibt es zwei völlig voneinander abweichende Darstellungen. Die der Staatsanwaltschaft am Landgericht München II und die des Angeklagten, eines 37-Jährigen, der in einem Supermarkt arbeitet. Unstrittig ist: Als die Regionalbahn in jener Nacht gegen 23 Uhr am Bahnhof in Dachau anhielt, verriegelte der Zugführer sofort die Türen eines Doppelstockwagens, weil ein Fahrgast einen Alarm ausgelöst hatte. Der Supermarktmitarbeiter soll zwei Frauen massiv sexuell genötigt haben. So sieht es die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen den Mann, der sich seit diesem Donnerstag vor der 10. Strafkammer am Landgericht München II verantworten muss. Er räumte zum Auftakt die Vorwürfe teilweise ein und sagte am Ende seiner Einvernahme: "Ich hatte keine Aufenthaltsgenehmigung hier (gemeint ist in der Bundesrepublik), deshalb ist alles passiert."

Passiert war aus Sicht der Staatsanwaltschaft Folgendes: Nachdem der 37-Jährige um kurz nach 22 Uhr die Regionalbahn im Hauptbahnhof München bestiegen hatte, setzte er sich sofort in die Nähe einer 36-Jährigen. Die beiden kannten sich nicht. Der Supermarktmitarbeiter verwickelte die Frau in ein Gespräch, das immer anzüglicher wurde. Kurz bevor der Zug in den Bahnhof von Dachau einfuhr, entblößte er plötzlich vor der Frau sein Glied und manipulierte daran. Als er sich schließlich direkt neben die 36-Jährige setzte und sie aufforderte sein Genital zu berühren, stand diese auf. Dabei berührte der 37-Jährige die Frau im Intimbereich. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Supermarktmitarbeiter in dieser Situation den Entschluss gefasst habe, die Frau zu vergewaltigen. Er packte sie, riss sie zu Boden, legte sich auf sie, drückte ihr den Mund zu, damit sie nicht schreien konnte und riss ihr Hose und Unterhose herunter. Die junge Frau wehrte sich mit aller Kraft, zog den 37-Jährigen an den Haaren. Als es ihr doch gelang, um Hilfe zu rufen, begann der Angeklagte sie mit Faustschlägen zu traktieren. Erst jetzt wurde ein anderer Fahrgast in der oberen Etage des Doppelstockwagens aufmerksam und schritt ein. Doch die Situation eskalierte weiter.

Der 36-Jährigen gelang es aufzustehen. In diesem Augenblick zerbrach der Angeklagte eine Bierflasche und bedrohte den Fahrgast damit, der zwischen ihm und der Frau stand. "Bring mir meine Frau", schrie der 37-Jährige. Doch der andere Fahrgast ließ sich nicht beirren. Er blieb stehen, woraufhin der Angeklagte das Abteil verließ. Die 36-Jährige erlitt bei dem Übergriff unter anderem Kratzspuren und Prellungen im Gesicht sowie Zahnfleischblutungen. Das gesamte Geschehen wurde von Überwachungskameras in dem Regionalzug aufgezeichnet. Auf den Bildern ist zu sehen, wie der 37-Jährige, nachdem er das Abteil verlassen hatte, weiter durch den Doppelstockwagen lief. Gegen 22.45 Uhr, so ist auf den Bildern zu sehen, traf er auf eine Mutter und ihren zwölfjährigen Sohn. Der Angeklagte beugte sich über die Frau und griff ihr unvermittelt an die linke Brust. Dabei soll er gesagt haben: "Du hast Glück, dass Du ein Kind dabei hast, sonst wärst Du dran." Dann endlich stoppte der Zug. Inzwischen war auch die Polizei alarmiert worden und nahm den Supermarktmitarbeiter fest.

Die Version von der mutmaßlichen Tat, die der 37-Jährige dem Gericht erzählte, klingt wirr. Danach habe er mit der 36-Jährigen eine "Vereinbarung" getroffen. Wenn er seine Hose öffne und ihr sein Genital zeige, sollte auch sie ihre Hose öffnen. Der 37-Jährige redet mit weit geöffneten Augen, gestikuliert dabei mit den Armen und redet schnell, so dass die Dolmetscherin alle Mühe hat, simultan zu übersetzen. Die Vorsitzende Richterin schreitet erst einmal nicht ein. Doch dann wird es ihr zuviel. "Was hat das eine mit dem anderen zu tun", fragt sie den 37-Jährigen. Der berichtet indes von einem Tipp, dem ihn ein Rechtsanwalt gab. Er habe gesagt, er soll eine "deutsche Frau" finden, dann werde er eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Dann berichtet der Angeklagte plötzlich von einem Mordkomplott, das Menschen in dem Ort im Landkreis Pfaffenhofen, wo er wohnt, angeblich gegen ihn geschmiedet haben und sagt dann: "Hätte ich eine Aufenthaltsgenehmigung vorher bekommen, hätte ich das nicht getan." Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.

© SZ vom 09.10.2020 / sal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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