Atelierausstellung in Dachau:Rausch der Farben

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Die jährliche Atelierausstellung in der Villa Stockmann ist für die teils sehr unterschiedlichen Künstler immer eine gute Chance, auch von den Fans der anderen entdeckt zu werden

Von Gregor Schiegl, Dachau

Aus der Perspektive eines Büroangestellten sind Künstler wahrhaft beneidenswerte Menschen. Keine E-Mail-Fluten, die einen peinigen, keine Terminhetze, kein Chef, der einen mit blödsinnigen Aufgaben traktiert. Und tatsächlich wirkt der Maler HF. Plahl, der seit mehr als 30 Jahren sein Atelier in der alten Künstlervilla von Hermann Stockmann hat, im Reinen mit sich und seiner Arbeit. "In meinem Beruf gibt einem niemand eine Aufgabe", sagt er und lächelt. Wobei das nicht ganz stimmt. Er selbst stellt sich die Aufgabe: Jedes Jahr macht der Dachauer eine große Atelierausstellung, und auch wenn Plahl ein anerkannter Künstler mit vielen Bewunderern ist, hat er den Anspruch, den Besuchern immer wieder etwas Neues zu bieten. Das erwarten die Leute.

Ralf Hanrieder verwendet für seine Bilder ein Strichdiagramm, das er in unterschiedlichen Größen und Farben zusammensetzt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Das Schlimmste für einen Künstler ist die weiße Leinwand", sagt Plahl. Gegen den horror vacui hat er einen Trick: Die Leinwand farbig grundieren, das schafft erste Flächen und Strukturen, auf die er seine Bildkompositionen setzen kann. Aus kleinen Lautsprecherboxen erklingen die Töne eines chinesischen Saiteninstruments, sehr langsam, sehr ruhig, sehr reduziert. "Das brauche ich, um in Stimmung zu kommen", erklärt der Maler.

An den Wänden des lichten alten Ateliers hängen großformatige Acrylgemälde, bunte Wimmelbilder, die sich in einer faszinierenden Welt zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion bewegen, dazu Aquarelle, die statt durch wässrige Blässe durch strahlende Farbkraft auffallen - dank chinesischer Farbe mit dem besondern Schuss Power. An einem Fenster wacht der Große Vorsitzende Mao, ein Mitbringsel von einer der vielen Fernreisen, die Plahl macht und die ihn zu immer wieder neuen Werken inspirieren: die Farben, die Formen, die Architektur, die Natur, das Licht, die Menschen - vieles ist nur angedeutet, Kopf und Strichmännchenarme, ein Winkel als Pagodendach oder als Vogel.

HF. Plahls Bilder sind inspiriert von seinen Reisen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wenn man seine Bilder anschaut, dann taucht man in die Weite Asiens ein, dann spürt man die staubige Hitze Andalusiens, die lebensprallen Gassen Indiens, und je länger man sie ansieht, desto mehr Szenen und Motive entdeckt man. Für Werke, die sich bereits auf den ersten Blick erschöpfend erschließen, hat Plahl nichts übrig: "Ein Bild muss einen beanspruchen." Das macht Plahls Job aber auch fast etwas uferlos. "Das Schwierigste in der Kunst ist zu wissen, wann ein Bild fertig ist."

Plahl hat sein Stammpublikum, aber das haben die anderen Künstler im Hause auch. Ralf Hanrieder, Tadeusz Stupka und Lilly Karsten arbeiten unter dem gleichen Dach, auch sie öffnen am Wochenende ihre Ateliers. "Wir sind hier eine Gemeinschaft ganz unterschiedlicher Künstler", sagt Lilly Karsten. Sie ist die einzige Künstlerin im Haus, die einzige Fotografin, die Einzige, die zudem auch noch in ihrem Atelier wohnt. Aber diese bunte Mischung ist auch gerade bei der gemeinsamen Atelierausstellung eine Chance, von den Fans der anderen Künstler mal besucht und entdeckt zu werden. "Ich finde es toll, dass wir so eine bunte Mischung haben."

Der Himmel ist ein häufiges Motiv in Lilly Karstens Fotografien. (Foto: Lilly Karsten)

Lilly Karsten ist auch im Brotberuf Fotografin. Sie macht Porträtfotos, Hochzeits- und Babybilder, aber sie betreibt Fotografie auch als Kunst, was zugleich ihr Profil als Auftragsarbeiterin schärft: "Nur über das Probieren wird man besser." Mal experimentiert sie mit Unschärfe, mal arbeitet sie durch den Wechsel in Schwarz-Weiß den Ausdruck stärker heraus. Neben Dachauer Motiven wie Bildern vom Abbruch der MD-Papierfabrik zeigt Karsten auch Fotografien, die sie auf ihren Reisen gemacht hat. Dieses Jahr war sie auf Mallorca, nur fotografiert sie eben nicht das, was Touristen fotografieren. Ein Bild aus großer Höhe zeigt das Meer wie einen gewellten schwarzen Stoff, vor dem sich die scharf umrissene weiße Gestalt einer Möwe abhebt. Der Himmel und die Weite des Meers sind häufige Motive in ihren Bildern. "Das Freiheitsgefühl ist für mich ganz wichtig." Nebenan, im engsten und ziemlich vollgestopften Atelier, arbeitet der Maler Tadeusz Stupka. Zum 500. Todestag Leonardo da Vincis widmet der Künstler dem Werk des Renaissance-Malers einige seiner Arbeiten, die durch technische Experimentierfreude und einen Schuss Verwegenheit auffallen. Nach dem Reißer von Dan Brown hat er seine Ausstellung "Da Vinci Code" genannt, auch er legt geheimnisvolle Spuren offen, die er - wie Dan Brown - selbst gelegt hat. In einer handwerklich soliden, ansonsten aber eher schlichten Reproduktion der Mona Lisa erscheinen bei Verlöschen des Lichts dank fluoreszierender Acrylfarbe die Konturen des berühmten Vitruvianischen Menschen. Auch die Koordinaten für den Goldenen Schnitt glimmen geheimnisvoll auf. In der bunten Kulisse einer New Yorker Straßenschlucht erscheint bei entsprechend gedimmten Lichtverhältnissen das berühmte "Letzte Abendmahl". Das sind noch nicht alle Sensationen, aber mehr will Stupka vorab noch nicht verraten; er will die Überraschung nicht verderben.

Die Ausstellung in der Villa Stockmann feiert dieses Jahr am 15. November Vernissage. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mit einer geheimen Ordnung beschäftigt sich auch Ralf Hanrieder: dem Magischen Quadrat. Seit Jahren setzt er dieses Muster in immer wieder neuen Kombinationen in seinen Werken ein, die sich zu flirrenden Räumen und Energiezentren verdichten; manchmal fühlt sich der Betrachter regelrecht hineingesogen wie in ein Schwarzes Loch. Hanrieder verwendet für seine Bilder ein Strichdiagramm, das er in unterschiedlichen Größen, Stärken und Farben zusammensetzt. Im Kern verdichten sich die Strukturen zu etwas, das er als "energetische Signatur" bezeichnet.

"Es geht mir nicht darum, ein schönes Bild zu malen." Für ihn ist die ständige Wiederholung des Diagramms ein Akt der Kontemplation. "Ich bin ein Kunst-Arbeiter", sagt er, merkt dann aber lachend an, dass es schon auch Momente gebe, in denen er sich frage, ob er total bekloppt sei, so etwas zu machen. Wie Hanrieder aus dem Rhythmus des Magischen Quadrats immer wieder schwindelerregend plastische Formen und Strukturen erschafft, die auf wundersame Weise mal wie ein Blick in den Weltraum, dann wieder wie ein Blick in die Welt der Quanten erscheint, ist erstaunlich. Nach alter Tradition gibt es zur Vernissage auch diesmal wieder Gin Tonic. Ob das den Rausch der Farben und Formen dämpft oder noch steigert, muss der Besucher selbst herausfinden.

Atelierausstellungen in der Villa Stockmann, Münchner Straße 38. Vernissage, Freitag, 15. November, 19 Uhr bis 24 Uhr. Geöffnet auch Samstag, 16. November, 14 bis 19 Uhr, und Sonntag, 17. November, 10 bis 18 Uhr.

© SZ vom 14.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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