Artist in Residence:Staunen über Dachau

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Pretta Fiore arbeitet zurzeit als Kunststipendiatin in einem Atelier im Thoma-Haus und beteiligt sich mit einem für sie typischen Bild reflektierter Naivität an der KVD-Schlossausstellung. Eine Kulturförderung dieser Art kennt sie aus Italien nicht

Von Gregor Schiegl, Dachau

"Zu Beginn des Jahrhunderts leuchtet während der Sommerzeit alle fünfzig Meter der Malschirm eines Malers oder Malerin in der Dachauer Landschaft", schrieb der schwedische Maler Carl Olof Petersen, ein Schüler Adolf Hölzels, im Jahr 1903 leicht genervt. "An besonders beliebten Stellen stand man sogar tagelang Polonäse, bis jeder an die Reihe kam." Was die Maler lockte, waren, wie man immer wieder lesen kann, die besonderen Lichtstimmungen, von denen man als moderner Dachauer denkt: Nun, ja, die kann man sich auch einbilden. Am Chiemsee gibt's ja auch schönes Licht und in München auch.

Fragt man Pretta Fiore, italienische Künstlerin mit brasilianischen Wurzeln, was ihr an Dachau am besten gefalle, sagt sie: "Der Mohnkuchen - fantastisch! Ich muss alle Süßigkeiten probieren. Wenn ich zurückfahre, wiege ich mindestens zwei Kilo mehr." Und dann folgt auch schon das Licht. "Es ist ein ganz ungewöhnliches Licht", sagt sie begeistert. "Es wechselt mit den Tageszeiten." Manchmal bleibt sie in der Altstadt stehen und bewundert die Fassaden. "Die Pastellfarben der Häuser haben ganz tolle Farben durch dieses Licht."

Künstlerin Pretta Fiore zeigt ihr Gemälde über Kindheit und Erinnerungen auf der KVD-Ausstellung im Schloss. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die 36-Jährige kommt aus der italienischen Partnerstadt Fondi. Gemeinsam mit dem 20 Jahre alten Nachwuchstalent Sara Conte ist sie derzeit zu Gast in Dachau. Die Stadt hat sie eingeladen, drei Wochen hier zu leben und zu arbeiten. Man kann sich das vorstellen wie ein kleines Kunststipendium, und natürlich gehört dazu nicht nur Spazierengehen und Kuchenessen, auf dem Programm stehen auch Gespräche und Begegnungen mit Dachauer Künstlern, Galerie- und Atelierbesuche. Zur Schlossausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD) steuert Pretta Fiore selbst ein Gemälde bei, zwei mal zwei Meter, gemäß den Vorgaben, und sehr bunt.

Jetzt steht die Künstlerin in ihrem Atelier oben im Thoma-Haus und trägt noch ein paar Striche Farbe auf, Quietschgelb für eine Bananenstaude vor einem altrosa Hintergrund; angedeutet ist auch noch ein Palmenblatt, Hochhäuser, Blumen und ein Gepard. Das Gemälde schließt an eine Serie an, die sie "Erinnerungen" nennt, und wie Erinnerungen überlappen sich die Farbschichten bisweilen, verdecken einen Teil des Bildes darunter. Manche Motive erscheinen größer als in der Wirklichkeit, manchmal auch kleiner und einfacher. Eindrücklicher. Es ist ein naiver Malstil, der sich eine kompromisslose Subjektivität erlaubt, also ziemlich konträr ist zu den Landschaftsmalern anno dunnemals, die in der Traditionslinie der holländischen Malerei fast realistischer wirkten, als die Natur.

Sara Conte beim Malen in einem der Ateliers im Dachauer Ludwig-Thoma-Haus. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Bild erzählt natürlich auch viel über Pretta Fiore selbst, denn es versammelt ihre Eindrücke aus der Rua Arújo Pinho im brasilianischen Salvador, wo sie die Escola de Belas Artes besucht hat. Dort gibt es Blumen, Parks, einen Hafen und den Blick aufs Meer und einen kleinen Tierpark; das erklärt auch den Geparden. In Italien, "dem Mutterland der Künste", setzte sie ihre Ausbildung fort, Rom und in Bologna. "Anfangs hatte ich Angst vor dem Neuen", erzählt sie. "Ich hatte Angst, es nicht zu schaffen." Diese Angst hat sie längst abgestreift, jetzt ist sie sicher und künstlerisch gefestigt. Ganz bewusst hatte sie sich entschieden, wieder an ihre Anfänge anzuknüpfen, die nun auch schon 20 Jahre zurückliegen.

Pretta heißt mit Vornamen eigentlich Luciana. "Preta" ist das portugiesische Wort für "schwarz", ein Spitzname, den sie als schwarzhaariges Kind mit dunklen Augen unter lauter Blonden und Blauäugigen bekommen hat und den sie als Künstlernamen, leicht abgewandelt, behalten hat. Pretta besuchte anfangs keine Schule, die Mutter unterrichtete sie, bis sie 14 war. Mit 15 erfuhr sie, dass ihre ältere Schwester ein Kind erwartet, und das war ein glücklicher Umstand und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. In Brasilien ist es Tradition, dass das Kinderzimmer vor der Geburt schön geschmückt und bemalt wird. Heute kann man tausend Baby-Accessoires im Internet bestellen. Vor 20 Jahren mussten die Leute alles noch selbst gestalten, bis hin zur handbestickten Windel. Pretta übernahm die Aufgabe und schuf eine prächtige, raumfüllende Zirkusszenerie, die so viel Aufsehen erregte, dass das Mädchen reihum von werdenden Eltern gebucht wurde. Dieser farbenprächtige, naive Stil, kehrt nun gereift zurück auf die Leinwand.

Pretta Fiore zeigt ihr Gemälde über Kindheit und Erinnerungen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nachwuchskünstlerin Sara Conte lebt auch in Fondi und war mit ihren Bildern schon auf drei Ausstellungen vertreten. Näher kennengelernt haben Pretta und sie sich erst jetzt in Dachau. Beide malen mit Acrylfarben, auf beide passt das große Wort "Weltenbürger": Sara Conte reiste, was vielleicht auch an den Eltern lag. Ihr Vater ist halb Ire, halb Franzose, ihre Mutter halb Thailänderin, halb Japanerin, die Urgroßeltern väterlicherseits kamen als Immigranten aus den USA nach Italien.

Gemalt hat Sara Conte eigentlich schon immer, voller Begeisterung, beinahe manisch. Nun macht sie auch eine künstlerische Ausbildung, aber das Geld reicht oft nicht mal für die Farben. Dann muss sie erst wieder eine Weile jobben, bis sie das nötige Geld zusammen hat. Eine öffentliche Förderung der Künste, wie sie es nun in Dachau erfahren, kennen die beiden Italienerinnen von zu Hause nicht. Denn egal, wie gut man als Künstler in Italien sei: "Du bist nichts, wenn du keine guten Beziehungen hast", sagt Pretta Fiore. "Als Künstlerin würde ich am liebsten immer nur in Dachau arbeiten."

Vernissage der Schlossausstellung ist am Sonntag, 6. August, elf Uhr.

© SZ vom 03.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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