Architekturforum Dachau:"Das Ensemble kann nur mit Regeln bewahrt werden"

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Christian Stadler, Vorsitzender des Architekturforums, würdigt die Martin-Huber-Straße als "einzigartiges Zeugnis der Dachauer Stadtentwicklung". Er bedauert, dass die Erhaltungssatzung gekippt wurde. Sie hätte Schutz vor den zerstörerischen Kräften des Immobilienmarkts bieten können

Interview von Andreas Förster, SZ: Herr Stadler, aus Ihrer Sicht als Architekt: Ist das Straßenbild Martin-Huber-Straße schützenswert?

In der Martin-Huber-Straße ist noch ein Stück der alten Stadt Dachau sichtbar. Damit das so bleibt, hatte die Stadt insgesamt 20 Gebäude entlang der Martin-Huber-Straße, des Amperwegs und jeweils ein Gebäude auch in der Dr.-Engert-Straße sowie der Ludwig-Thoma-Straße unter kommunalen Denkmalschutz stellen wollen. Dies sollte über eine sogenannte Erhaltungssatzung geschehen. Bevor ein Entwurf dazu ausgearbeitet werden konnte, kippte die Mehrheit im Stadtrat nach Protesten von Anwohnern die Pläne jedoch wieder. Damit ist der Weg frei für den bereits beantragtem Abriss des alten Schmuckladens in der Martin-Huber-Straße 13. Die SZ Dachau sprach mit dem Vorsitzenden des Architekturforums Dachau, Christian Stadler, über die Bedeutung der Martin-Huber-Straße für Dachau, den Stellenwert alter Bauwerke in der Stadt und wie sie erhalten werden können.

Christian Stadler: Der Straßenzug ist ein einzigartiges Zeugnis der Dachauer Stadtentwicklung: In den 1920er und 1930er Jahren wurde das freie Gelände in Richtung Bahnhof erstmals erschlossen und der Brückenkopf über die Amper mit bürgerlichen Stadtvillen geschmückt. Die freistehenden Häuser setzten der Avantgarde der Moderne eine Formensprache entgegen, die traditionelle Bauformen und Bauweisen sowie das Handwerk fördern wollte. Das sieht man den so entstandenen bescheidenen Stadtvillen heute noch an. Die Häuser haben insbesondere im Verhältnis zu den jeweiligen Grundstücken moderate Dimensionen und relativ großzügige Gärten. Sie weisen viele für ihre Zeit typische Gestaltungselemente in überdurchschnittlicher Qualität auf, die handwerklich mit einer Bautechnik entstanden sind, die heute fast verloren gegangen ist. Es geht - vor allem im öffentlichen Interesse - um die Erhaltung des Zusammenhangs und der Charakteristik der Gebäude sowie eine um eine künftige Entwicklung der Bebauung mit Rücksicht auf die prägenden Architekturelemente. Das Einzelne braucht die Gruppe und umgekehrt. Das unverwechselbare Ensemble kann in Anbetracht des Drucks auf dem Immobilienmarkt in Dachau langfristig nur mit Regeln wie der Erhaltungssatzung bewahrt werden.

Der Maler Christian Maria Huber, der sein Atelier links neben dem grünen Haus in der Martin-Huber Straße hat, malte diese Dachauer Stadtansicht vor einigen Jahren vom Scheierlturm aus, von dem man einen schönen Blick auf Dachaus Häuser hat. Repro: Niels P. Jørgensen (Foto: N/A)

Was ist eine Erhaltungssatzung und wie funktioniert sie?

Mit der Erhaltungssatzung stellt der Stadtrat im öffentlichen Interesse liegende, fachlich fundierte Regeln auf, die über das allgemein geltende Einfügungsgebot hinausgehen. Sie soll für ein Stadtviertel mit einer sogenannten "städtebaulichen Eigenart" ungewollte oder nachteilige Veränderungen vermeiden. Bei der Martin-Huber-Straße kann man das als "kommunalen Denkmalschutz" bezeichnen, da der umfasste Bereich für die Identität der Stadt von hoher Bedeutung ist. Die Kriterien des Landesamtes für Denkmalpflege wirken hier nicht, da die Einzelgebäude und das Ensemble bauhistorisch nur lokal und nicht landesweit herausragen.

War die Satzung das richtige Mittel, oder gibt es bessere Alternativen?

Eine Alternative wäre prinzipiell der Bebauungsplan. Das Bauamt hatte sich in nachvollziehbarer Weise für den Weg der Erhaltungssatzung entschieden, weil ihre Regeln bestandsorientiert sind, aber auch Einfluss auf die Entwicklung von zusätzlicher Bebauung erlauben.

Was ist beim Neubau in Straßen mit altem Bestand zu beachten?

Das kann man hier kaum erschöpfend beantworten. Aber Bauherr und Architekt stehen zusammen in einer großen Verantwortung, wobei der Bauherr sich den Planer aussucht, das Planungsprogramm vorgibt und im Zweifel die letzte Entscheidung trifft. Kein anderes Handeln als Bauen manifestiert sich stärker und länger, denn jedes sichtbare Gebäude hat eine öffentliche Seite. Viele Städte sind bei Reisenden beliebt wegen eines historisch gewachsenen Mehrwerts eines attraktiven Stadtbilds. Dieser Mehrwert entsteht nicht von selbst. Es braucht Regeln, die einzuhalten sind, damit ein übergeordnetes Ganzes entstehen kann. Kreativität wird mit klaren und begründeten Rahmenbedingungen nicht beschränkt. Vielmehr brauchen gute Lösungen Zeit, Empathie, Rücksichtnahme und ein konstruktives und offenes Miteinander der Beteiligten.

Architekt Christian Stadler. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Welche historischen Gebäude hat Dachau in den vergangenen Jahren verloren?

Die Flaschenabfüllerei und die Brauerei in der Klosterstraße wurden abgerissen. Zu nennen wäre auch die ehemalige Koschade-Klinik und der Hörhammerbräu, die jahrelang leer standen; dann die nicht mehr betretbare Holländer-Halle, ein Industriearchitektur-Denkmal , das auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei auf völlig verlorenem Posten steht. Zu nennen wäre auch die Entscheidung für den Abbruch des Heizkraftwerks der MD-Fabrik als weithin sichtbares Wahrzeichen der 150-jährigen Industriegeschichte Dachaus. Das Baywa-Lagerhaus am Bahnhof ist nicht mehr erkennbar in einen Wohnblock aufgegangen. Unzählige Wohnhäuser, die vor und nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden waren. Mit der Nachverdichtung wurden sie abgerissen. Aber es gibt auch erfreuliche Beispiele. Dazu gehören die Ruckteschell-Villa, renovierte und reaktivierte Handwerkerhäuser sowie traditionell gemischt genutzte Wohn- und Geschäftshäuser wie in der Wieningerstraße.

Was empfiehlt das Architekturforum, um dachautypische Häuser zu erhalten?

Eine für Dachau typische Hauslandschaft ist schwer zu definieren. Wir sehen eher Bereiche und Einzelbauwerke, die wichtig sind für die Identität unserer Stadt. Ich bin selbst vor mehr als drei Jahrzehnten mit der Familie nach Dachau gezogen, und wir haben nach und nach ihre Eigenheiten und Alleinstellungsmerkmale entdeckt und schätzen gelernt. Außerhalb der Altstadt gibt es noch die alten Künstlervillen an der Hermann- Stockmann-Straße. Nicht übersehen darf man auch die gelungenen neueren Quartiere der späten 1970er- und 1980er-Jahre in Dachau Süd oder am Udldinger Hang. Sie haben Maßstäbe gesetzt beim Wandel der Wohnungstypologie vom freistehenden Haus zum verdichteten Eigenheim- und Wohnungsbau.

© SZ vom 15.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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