Antiziganismus in Dachau:Benachteiligt und ausgegrenzt

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Auch wenn ein Umdenken eingesetzt hat - Studien belegen, dass Sinti und Roma weiterhin diskriminiert werden

Ein weiteres beschämendes Kapitel der deutschen Vergangenheitsaufarbeitung: 37 Jahre mussten die wenigen Überlebenden des Völkermordes der Nationalsozialisten an den europäischen Sinti und Roma warten, bis im Jahr 1982 ihre Verfolgung durch den deutschen Staat nicht mehr als "legitim" eingestuft und erstmalig als Verbrechen anerkannt wurde. In Deutschland sind bis heute etwa hundert Gedenkorte für die ungefähr 500 000 Opfer entstanden, die von den Nationalsozialisten ermordet worden sind. Auch der Freistaat Bayern hat sich 2018 zur politisch-historischen Verantwortung gegenüber Sinti und Roma bekannt, die lange zu den vergessenen Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zählten. In Bayern leben etwa 12 000 Sinti und Roma.

Eine Wende? Ein Jahr später muss Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, festhalten: In immer wiederkehrenden Berichte in Online- und Print-Medien werde auf eine Kriminalisierung und Ausgrenzung von Sinti und Roma abgezielt. So wurde vom Zentralrat die SAT 1- Sendung "Roma: Volk zwischen Armut und Angeberei" wegen eines diffamierenden und antiziganistischen Inhalts scharf kritisiert. Die Ergebnisse der Mitte-Studie der Universität Leipzig machen deutlich, wie stark rassistische Diskriminierung und Ausgrenzung von Angehörigen der Sinti und Roma noch heute in der Gesellschaft verbreitet sind. 81 Prozent der befragten Sinti oder Roma gaben in einer 2011 angelegten Studie an, persönliche Diskriminierung erfahren zu haben. Aussagen wie "Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten." erhielten 2014 55,4 Prozent und 2016 sogar 57,8 Prozent Zustimmung. Es ist sicher kein Zufall, dass wenige Wochen vor dem 75. Jahrestag der Auflösung des sogenannten "Zigeunerlagers" B II e in Auschwitz-Birkenau am 2. August Rechtsextremisten und krankhafte Nationalisten Anschläge auf Gedenkorte vornahmen. Sinti und Roma sind in Deutschland und in Europa einem zunehmend gewaltbereiten Rassismus ausgesetzt, der immer wieder auch von staatlicher Seite angeheizt und gerechtfertigt wird. Der aggressive Antiziganismus richtet sich zuerst gegen Sinti und Roma, aber im Kern gegen unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat", erklärte Romani Rose 2019.

Der Staatsvertrag des Freistaates mit dem Landesverband der Sinti und Roma von 2018 soll Aufklärung und Förderung der Toleranz gegenüber Minderheiten in den Mittelpunkt rücken - ein Jahr später stellt der bayerischen Landesbeauftragte für Datenschutz, Thomas Petri, fest, dass bei 40 Stichproben aus jedem Polizeipräsidium offenbar diskriminierende Formulierungen gefunden wurden. So soll in einem internen Text gestanden haben, dass Beschuldigte "aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti" über einschlägige kriminelle Erfahrungen verfügen könnten - und das obwohl sie überhaupt nicht polizeibekannt waren.

Sinti und Roma sind noch heute immer wieder Benachteiligungen ausgesetzt und werden oftmals Opfer von Straftaten - von Beleidigungen, Bedrohungen und gewalttätigen Übergriffen. Trotzdem wird der Antiziganismus bisher nicht als gesellschaftliches Problem erkannt. Es gibt weder eine institutionalisierte Antiziganismusforschung noch einen Antiziganismusbericht der Bundesregierung. Der Zentralrat fordert seit Jahren die Einrichtung eines Expertenausschusses Antiziganismus.

© SZ vom 17.09.2019 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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