Amtsgericht Dachau:Dreister geht es kaum

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Sie wohnten monatelang kostenlos in der Wohnung eines Freundes und beklauten ihn dann. Dafür sind vier Jugendliche nun zu Jugendstrafen verurteilt worden.

Gregor Schiegl

Als die Polizei eintraf, bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung: Die Tür der Wohnung in der Schleißheimer Straße war eingetreten, ein Glastisch lag zertrümmert am Boden, die Wände waren beschmiert, überall lagen Bierflaschen, Müll und Essensreste herum. "Eine Katastrophe", sagte die Leiterin der Wohngruppe für Jugendliche.

Als ihr Freund verhaftet wurde, räumten sechs Jugendliche seine Wohnung aus. (Foto: dapd)

Die Polizei schätzte den Schaden auf rund 600 Euro. Das war im September 2009. Erst eine Woche zuvor waren die Beamten in das Ein-Zimmer-Appartement eingerückt und hatten den Bewohner in Handschellen abgeführt. Der 20-Jährige soll einen Mann zusammengeschlagen haben.

Nun ist er selbst Opfer geworden: Jemand hat ihm die Bude ausgeraubt. Digitalkamera, Toaster, Mikrowelle, Handy, Fernseher, Stereoanlage, X-Box, DVDs - alles ist weg. Und die Staatsanwältin ist sich sicher, dass es seine sogenannten Freunde waren, denen er über Monate hinweg unerlaubt Unterschlupf gewährt hat.

Sechs Jugendliche zwischen 19 und 22 Jahren sitzen auf der Anklagebank. Premiere ist es für keinen von ihnen. Alle haben lange Vorstrafenregister, teilweise laufen die Verfahren noch, einer steht unter offener Bewährung. Und jetzt auch noch diese Geschichte. "Da fehlen mir die Worte", sagt die Staatsanwältin. Es zeuge von "absolut hoher krimineller Energie", jemanden auszurauben, der einem Obdach gewährt. Immerhin hatte der 20-Jährige mit seiner Gastfreundschaft riskiert, hochkant rauszufliegen.

Als die Polizei ihn damals festnahm, waren auch einige seiner "Untermieter" zugegen. Die Beamten scheuchten sie aus der Wohnung. Einer hatte noch Hosen in der Waschmaschine "und so viele Hosen habe ich nicht". Es war Not am Mann. Ein 19-Jähriger Kumpel half bereitwillig und öffnete die Türe mit einer Plastikkarte. Sie holten die Hosen raus - und ließen auch noch ein paar Räucherstäbchen mitgehen.

Eine Woche später kehrte der 19-Jährige in Begleitung einiger Jugendlicher noch einmal zur Wohnung zurück. Die Plastikkarte nützte ihm diesmal nichts, die Tür war abgesperrt. Er trat sie ein, klaute die Stereoanlage, "weil ich selber keine habe". Es seien noch einige Andere dabeigewesen. Wer, das wisse er heute nicht mehr.

Im Verdacht stehen zwei Brüder, die mit auf der Anklagebank sitzen. In dem alten Haus, das der Vater ihnen überlassen hat, hat die Polizei eine X-Box konfisziert mit genau dem Ballerspiel, das auch aus der Wohnung des 20-Jährigen verschwunden ist. Der ältere Bruder soll mit einem Einbruch geprahlt haben. Ein Bekannter bezeugt das. Richterin Petra Nolte glaubt dem Zeugen: Die beschriebene Beute passt auch exakt zur Tat, das reicht als Beweis. Den jüngeren Bruder spricht sie frei. Als Einzigen.

Alle anderen Anwesenden bekommen noch einmal Jugendstrafen - Arrest und Geldstrafen. Einer steht unter offener Bewährung und entgeht nur haarscharf einer Haftstrafe. Er war am ersten Einbruch mitbeteiligt. Die Verteidigung kann das Gericht überzeugen, die erste Tat nur als Diebstahl zu ahnden. Ein klassischer Einbruch sei es ja nicht gewesen. Immerhin sei die Wohnung für die Jugendlichen wie "ein Stück Zuhause".

Ein richtiges Zuhause hatte keiner der Angeklagten: Die Brüder wurden vom Stiefvater misshandelt; dem Jüngeren musste die Milz entfernt werden. Der Ältere schüttet sich zu, er ist Alkoholiker. Der Dritte ist Kind zweier Junkies, seine Jugend bezeichnet er als "kummervoll". Mindestens acht Mal habe er die Schule gewechselt. Der Vierte ist drogenabhängig; er hat sich in eine Therapieeinrichtung begeben, weil er fürchtet, sonst komplett abzustürzen. Vom Fünften weiß man nichts, er kam nicht zur Verhandlung. Und der Sechste, der mit den Hosen, ist seit zwei Jahren Vollwaise.

© SZ vom 17.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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