Ära an Dachauer Schule geht zu Ende :Abschied in die großen Ferien

Lesezeit: 3 min

"Ich bekam hier alle Freiheiten, die ich mir wünschen konnte", sagt Helga Schiller über ihre Zeit als Rektorin in der Grundschule Augustenfeld. (Foto: Toni Heigl)

Helga Schiller, die Rektorin der Grundschule Augustenfeld, geht in den Ruhestand. Sie hat die Einrichtung seit deren Gründung vor 13 Jahren geprägt und stets versucht, Kindern und Kollegen auf Augenhöhe zu begegnen

Von Andreas Förster, Dachau

Im Rektorenzimmer, wo normalerweise alles genau seinen Platz hat, herrscht nun Chaos. Möbel sind verrückt. Aktenordner, sonst exakt geordnet, liegen an verschiedenen Stellen und warten darauf, durchforstet zu werden: Was darf mit, was kann weg, was braucht die Nachfolgerin? Nur die gelbe Besuchercouch steht da, wo sie immer stand: In der Mitte des Raums, mit Blick zum Fenster. Gelb ist Helga Schillers Lieblingsfarbe. Sie passt zu der 65-Jährigen, die eine zupackende Energie und Warmherzigkeit ausstrahlt.

Die beste Nachricht, welche die Mutter zweier erwachsener Kinder auf ihrer gelben Couch im Rektorenzimmer entgegennahm, war, wenn ihre Kolleginnen sagten: "Ich bin schwanger." Helga Schiller lächelt. "Wenn ich das gehört habe, bin ich ihnen erst einmal um den Hals gefallen", erinnert sie sich. Da kam das Mütterliche in ihr durch, das sonst im Berufsalltag d etwas in den Hintergrund rückte wegen der vielen Aufgaben und der Verantwortung, eine Schule mit 336 Kindern und 31 Lehrerinnen und Lehrern zu leiten.

Unweit von der Couch steht Helga Schillers Schreibtischstuhl. Vor jedem Gespräch stellte sie ihn einige Zentimeter tiefer. "Auf Augenhöhe zu sein war mir immer ganz wichtig", betont sie. Egal, wer auf der Polstercouch saß: Lehrerkolleginnen, Eltern, Kinder und manchmal auch Kinder und Eltern zusammen. Gerade die Kinder lagen ihr besonders am Herzen, ihre quirlige, manchmal schwer zu bändigende Energie werde sie vermissen, sagt sie, da klingt auch eine Spur Wehmut mit.

Helga Schiller hat in 48 verschiedenen Schulen gelehrt. Was ihr in dieser Zeit widerfahren ist, würde eine ganze Zeitung füllen. Sie wuchs in der Nähe von Altötting auf. Sie studierte in Regensburg, wo sie ihre Kinder bekam. Dort hat sie auch an einer Sonderschule gearbeitet: "Da habe ich gelernt, den Kindern soweit mit Verständnis entgegenkommen, bis man jeden erreicht. Davon habe ich ein Lehrerleben lang profitiert", sagt sie.

Profitiert hat sie auch von einem Aufenthalt im Kloster. Seitdem beschäftigt sie sich mit Meditation. Elemente davon, sie nennt sie "Fantasiereise", wandte sie immer wieder erfolgreich bei ihren Schülern an. "Es half ihnen, Ängste zu überwinden und sich besser zu konzentrieren", versichert sie. Aus Überzeugung nahm sie sich der "Problemschüler" an der Mittelschule an, die schon mehrfach durchgefallen waren, und förderte sie mit Intensiv-Deutschkursen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Augustenfelder Grundschule von Anfang an zur Asylbewerberschule wurde. Durch ein System einer flexiblen und den Kindern angepassten Zusatzförderung gelang es, die geflüchteten Kinder zu integrieren: In jeder Klasse gab es nie mehr als einen ausländischer Schüler ohne Deutschkenntnisse, dazu Deutschkurse unterschiedlichen Niveaus. Besonders Begabte wurden durch entsprechende Kurse in Deutsch und Mathe gefördert. Als Schiller die Augustenfelder Schule 2006 aufbaute, hatte sie "keine Ahnung von einer funktionierenden Verwaltung", wie sie betont. Zum Glück fanden sich immer wieder Unterstützer, am Anfang von Seiten des Schulamts, später, während der großen Flüchtlingswelle, viele motivierte Ehrenamtliche.

Seit 26 Jahren lebt sie in Dachau. Von 1993 bis 2006 unterrichtete sie an der Ludwig-Thoma-Mittelschule, danach wurde sie Rektorin. Schiller erinnert sich: "Als der Schulrat auf mich zukam, wollte ich mich gerade aus dem staatlichen Schuldienst verabschieden." Ihre Vorstellung einer idealen Schule sah sie kurzzeitig in der Aktiven Schule, einer Elterninitiative in Petershausen verwirklicht, an deren Konzept sie mitgearbeitet hatte. Doch sie spürte bei den Eltern Vorbehalte einiger ihrer Ideen gegenüber, so nahm sie das Angebot des Schulrats an und drückte der Grundschule ihren Stempel auf. "Ich bekam hier alle Freiheiten, die ich mir noch wünschen konnte, und habe die Entscheidung nie bereut", versichert Schiller und dabei funkeln ihre Augen, so sehr freut es sie bis heute.

Die pädagogische Freiheit, die sie in all den Jahren als Rektorin "in Verantwortung übernommen" hat, wie sie betont, gab sie aus Überzeugung auch ihrem Lehrerkollegium weiter: "Probiert neue Ideen aus, ihr habt meine Unterstützung", war ihr Credo, wohl wissend, dass die ideale Schulform diejenige ist, in der die Lehrer kreativ sein können und möglichst individuell auf ihre Schüler eingehen. Sie selbst hat als politisch interessierter Mensch viel mit Zeitungen gearbeitet, Artikel als Wissensgrundlage angeboten, an Pinnwände geheftet und von den Schülern bearbeiten lassen. Sie hat in ihrer Schule das Prinzip des offenen Klassenzimmers eingeführt, wenn eine Lehrerin krank war, konnte so die Kollegin von gegenüber immer ein Auge auf beide Klassen haben. Dass es dabei nicht laut wurde, liegt an den klaren Regeln, die an Schillers Schule herrschten. Dabei waren ihr Disziplin und selbständiges Mitmachen und Lernen seitens der Schüler immer wichtig. "Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, diesem Anspruch muss ich als Pädagogin gerecht werden", sagt sie.

Nun nimmt sich Helga Schiller die Freiheit, nach 59 Jahren aktiver Schulzeit das erste Mal nach den großen Ferien in Urlaub zu fahren.

© SZ vom 31.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: