Abschlussfestival:Auszug aus der Villa Kunterbunt

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Mit Dutzenden kleiner, aber feiner Kultur-Events haben "Wir sind Paul" in den vergangenen Monaten einen Laden in der Dachauer Altstadt bespielt und das Publikum verzaubert. Doch offenbar schätzen nicht alle den kreativen Einsatz der fünf jungen Frauen

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die berühmte Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf von Astrid Lindgren liefert das Erfolgsrezept des Dachauer Kollektivs "Wir sind Paul": "Das habe ich vorher noch nie versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe." Man erinnere sich nur an das "White Paper Festival" im Sommer 2017 auf dem Gelände der alten MD-Papierfabrik. Es gab keinen Strom, kein fließend Wasser, kein Geld, nur eine zündende Idee. Aber das hat den fünf jungen Dachauerinnen Lena Heilein, Annika Wenzel, Lina und Alice Homann und Ines Huber schon gereicht, um dort ein Festival mit mehr als 2000 Besuchern auf die Beine zu stellen, von dem die Leute heute noch mit glänzenden Augen erzählen.

Lina und Alice Homann, Annika Wenzel und Lena Heilein mit Baby Jonte im "Paul und Paula", Ines Huber fehlt auf dem Bild. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Jetzt sitzen die fünf Freundinnen im "Paul und Paula", einem ehemaligen Schmuckladen in der Jocherstraße 8, den sie in den vergangenen Monaten als "Kreativlabor" betrieben haben mit unzähligen Konzerten, Workshops und Events; eine Veranstaltungsreihe trägt bezeichnenderweise den Titel "Efraims Töchter". An der Wand glimmt die blasse Leuchtschrift "Bar" überm Tresen, auf deren Frontseite noch so ein Pippi-Langstrumpf-Spruch eingraviert ist, der wahrscheinlich berühmteste: "Wir machen uns die Welt, widdewidde wie sie uns gefällt." Im Raum ist es so kalt, als wäre bereits alles vorbei. "Wir müssen rechtzeitig einheizen", sagt Lina Homann, denn einmal noch, an diesem Samstag, 26. Januar, soll die Stimmung richtig hochkochen zur Abschiedssause von "Paul und Paula". Der Laden soll aus allen Nähten platzen vor lauter Freude, Lachen, Glück, Inspiration, wunderbaren Musikern - und natürlich vielen Besuchern. Angekündigt ist die Fete als "kleinstes Festival der Welt". Danach ist Schluss mit "Paul und Paula", auch der Tresen muss raus. Vielleicht will ihn ja jemand kaufen, Verhandlungsbasis 250 Euro.

"Wir sind Paul" tüfteln immer wieder Neues aus. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die kulturelle Zwischennutzung des ehemaligen Schmuckladens war nie auf Dauer angelegt. Wäre es nach dem Vermieter gegangen, hätten "Wir sind Paul" ihr Kulturprogramm gerne weitermachen dürfen. Als beim Konzert von NouWell Cousines im vergangenen Sommer so viele Besucher ins "Paul und Paula" geströmt waren, dass es dort nicht nur zu eng wurde, sondern auch viel zu heiß, öffnete die Familie, der das Haus gehört, sogar ihren herrlichen Obstgarten für ein Freiluftkonzert, sogar vom reich bestückten Pflaumenbaum durften die Gäste naschen.

Von diesen magischen Momenten, den aufgeregten Künstlern und dem begeisterten Publikum zehren die fünf jungen Frauen jetzt noch. "Eigentlich ging es gerade erst richtig los", sagt Lina Homann. Künstler zu bekommen, war nie ein Problem. Schon nach dem White Paper Festival gab es eine ellenlange Liste von Interessenten, die unbedingt bei ihnen auftreten wollten, und der Tassilo-Kulturpreis, den ihnen die Süddeutsche Zeitung 2018 verlieh, hat ihren Bekanntheitsgrad noch einmal weit über Dachau hinaus getragen. Entsprechend bunt gemischt war auch das Publikum, viele Dachauer, aber auch Leute aus Regensburg und Garmisch kamen, einmal rückte eine ganze Besuchergruppe aus München an, auch ältere Leute schauten vorbei, neugierig geworden, was das denn sein soll, dieses "Paul und Paula".

In den vergangenen Monaten hat es unzählige kleine Kultur-Events gegeben. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Unsere Idee war ein Raum, wo Neues entstehen kann", sagt Annika Wenzel, "wo jeder was ausprobieren kann. Dabei sind unglaubliche Dinge entstanden." Eine Künstlerin bot Aquarell-Workshops an, die ein solcher Erfolg waren, dass sie sich damit selbständig machen will. Einfach machen, ohne groß nachzudenken, das hat die fünf immer von einem fabelhaften Erfolg zum nächsten getragen, "das Leichte, etwas Kindhafte", wie Alice Homann sagt. Aber diese Leichtigkeit hat in den vergangenen Monaten auch gelitten. "Es war manchmal sehr anstrengend", gibt Lina Homann zu. "Im Herbst hatten wir 24 Events in drei Monaten. Wir mussten uns ab und zu Freunde dazu holen."

An diesem Wochenende ist Schluss mit den Events im "Paul und Paula". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das soll keine Klage sein. Die fünf Dachauerinnen begreifen ihr Engagement auch eigentlich gar nicht als Arbeit. "Für uns ist das ein Spielplatz", sagt Alice Homann. Aber es ist auch noch mehr als das. Es ist ein Beitrag auch für, ja, ihre Stadt. Es schmerzt die Frauen wenn in Dachau wieder einer der kleinen individuellen Läden mit Charakter zumacht und der nächste Immobilienmakler die Räume bezieht. "Davon hat keiner was." Deswegen halten sie dagegen, die Efraimstöchter, mit ihrem bunten, kreativen Programm, und, unbekümmert wie sie sind, dachten sie, alle anderen müssten dieses Engagement genauso toll finden wie sie selbst. Aber das war wohl doch eine Spur zu naiv.

"Wir haben die Anwohner eingeladen, trotzdem gab es in den ersten Wochen viel Gegenwind", erzählt Annika Wenzel. Der wehte ihnen nicht direkt ins Gesicht, darauf hätten sie reagieren können. Die Beschwerden wurden an die Stadt herangetragen, hintenherum; von "Zwangsbeglückung" war die Rede. "Die Nachbarn wussten oft nicht, was da auf sie zukommt", glaubt Wenzel. Aber das wussten die Kulturschaffenden selber nicht. "Nach einem Monat standen wir vor der Frage: Machen wir überhaupt weiter? Wie kann unter diesen Bedingungen Kultur in der Altstadt noch bestehen?" Es ist eine Frage, die keineswegs nur "Wir sind Paul" tangiert.

Aber wer das junge Quintett kennt, weiß, dass sie jetzt nicht einfach aufhören und in Erinnerungen schwelgen. Sie nehmen Anlauf für ein neues Projekt, den Betrieb im früheren Café Glück. "Das Café ist keine Fortsetzung von Paul und Paula", erklärt Annika Wenzel. "Es ist eine Weiterentwicklung." Im "Paul und Paula" haben sie Basiserfahrungen gesammelt, "das war gewissermaßen unser Praktikum." Das neue Café soll "Samstagskinder" heißen. Samstagskinder - vielleicht auch Sonntagskinder - verfügen der Sage nach über besondere Fähigkeiten und gelten als vom Glück begünstigt. Wenzel ist selbst an einem Samstag geboren und das kann ja wohl kein Zufall sein.

Das "Paul und Paula" verschwindet zwar, aber der Ort bleibt als kreativer Raum in der Altstadt bestehen: Schreiner, Möbeldesigner und Innenarchitekten übernehmen die Räume, wo sie sich treffen und austauschen, auch ein Showroom könnte entstehen. Zwei der neuen Betreiber sind Freunde von Ines Huber und Annika Wenzel, und so kann man sich sicher sein, dass ein bisschen von der alten Magie auch in Zukunft fortwirken wird.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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