70 Jahre nach der Befreiung:Florian Hartmann gibt ein Versprechen

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Beim Todesmarsch-Gedenken versichert Dachaus Oberbürgermeister dem Schoah-Überlebenden Abba Naor und Romani Rose, Sprecher der Sinti und Roma, dass er die Erinnerung an die NS-Opfer in Dachau weiter tragen will

Von Benjamin Emonts, Dachau

Abba Naor war 17 Jahre alt, als er am heutigen Dachauer John-F.-Kennedy-Platz, wo er jetzt spricht, vorbeigetrieben wurde. Der junge Mann aus dem litauischen Kaunas schleppte sich bei Schnee und in Fetzen völlig entkräftet die Straße entlang, ebenso wie Tausende andere fast verhungerte und kranke KZ-Häftlinge, die am 26. April 1945 auf den Todesmarsch geschickt wurden. 70 Jahre später umarmt Naor seinen Urenkel Michael und erzählt, wie stolz er sei, mit seiner Familie hier zu sein. Schließlich sei die Großzahl der KZ-Überlebenden ihrer Familien beraubt worden. "Wir waren ohne Beruf, ohne Zukunft - aber mit einer riesigen Vergangenheit". Trotzdem, sagt Naor, "haben wir es geschafft, Familien zu gründen".

Die rund 500 Gäste der Gedenkfeier anlässlich des 70. Jahrestages des Todesmarsches, darunter 138 Überlebende mit ihren Angehörigen, gaben Naor anhaltenden Applaus für seine Rede. Unter den Zuhörern waren auch viele junge Menschen - oder wie Naor es formuliert: "Die neue Generation, die dafür sorgen wird, dass so etwas nie wieder passieren wird." Mit gutem Beispiel gingen vier Schüler des Dachauer Josef-Effner-Gymnasiums voran, die sich mit einer Lesung von Zeitzeugenberichten an der Gedenkfeier beteiligten. Florian Hartmann, 28 Jahre alt, zählt zweifelsohne auch zu dieser Generation. Ob der zahlreichen Teilnahme insbesondere der Zeitzeugen zeigte sich der Dachauer Oberbürgermeister "beeindruckt und bewegt", wie er sagte. "Ihre Lebens- und Leidensgeschichten erfahren zu können, ist ein Geschenk" - und gleichzeitig eine "Verpflichtung, Ihre Geschichte und Ihr Vermächtnis in die Zukunft zu tragen und dafür zu sorgen, dass sie niemals vergessen werden." Schließlich gab Hartmann den KZ-Überlebenden das Versprechen: "Ich kann Ihnen persönlich und aus tiefstem Herzen versichern, Ihren Appell und Ihren Auftrag, dass so etwas nie wieder passieren darf, in die Zukunft weiterzutragen."

Der Redner nach ihm, Romani Rose, wies darauf hin, dass - neben den mehr als sechs Millionen Juden - auch 500 000 Sinti und Roma dem Völkermord durch die Nazis zum Opfer gefallen sind. Als Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma rief Rose ins Gedächtnis, dass der Massenmord an seinem Volk in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte "verdrängt, verharmlost oder gar geleugnet" worden sei. "Die Beamten aus dem SS- und Polizeiapparat, die den Völkermord ins Werk gesetzt hatten, blieben weiterhin in Amt und Würden." Eine Zäsur im Umgang mit dem Massenmord an den Sinti und Roma sei erst an Ostern 1980 erfolgt, als Rose selbst und elf weitere Sinti und Roma in der Gedenkstätte Dachau in einen Hungerstreik traten. Die Aktion fand in den internationalen Medien ein bis dahin unbekanntes Echo. Insofern hat sich der Kampf der deutschen Sinti und Roma für ihre Würde und eine eigene Erinnerung gelohnt, wie Rose betonte. Das bezeuge das nationale Mahnmal für die Sinti und Roma, das im Oktober 2012 in Berlin der Öffentlichkeit übergeben wurde.

Trotzdem, kritisierte Rose, müssten Minderheiten wie Sinti und Roma auch heute noch für "ökonomische Fehlentwicklungen und soziale Verwerfungen" herhalten. "Rassismus und Populismus bedrohen nicht nur die Rechte von Minderheiten, sondern zielen auf das Herz der Demokratie." Umso größer sei die Pflicht "von Politik, Justiz und Gesellschaft, menschenfeindliches und antidemokratisches Handeln konsequent zu ächten". Romani Roses Appell: "Die Errungenschaften der offenen Gesellschaft müssen wir gemeinsam verteidigen, für diese Werte müssen wir die junge Generation immer wieder neu gewinnen und begeistern."

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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