Contra Wertstoff-Insel:Vertane Chance

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Die Installation von Lena Bröcker ist plakativ und simpel gestrickt. Sie greift zu kurz, um Veränderung zu bewirken, und führt nur zu Aufregung über einen ästhetischen Bruch

Von Nicole Graner

"Kunst soll doch reiben" - das ist das Totschlagargument bei solche Installationen, die nicht gefallen, nur die Gemüter erhitzen. Natürlich soll Kunst reiben, damit Tabubrüche spürbar werden, das Yin und Yang und die Missstände in der Gesellschaft. Ohne Provokation entsteht nichts Neues. Kunst soll den Betrachter animieren, sich mit der Intention des Künstlers auseinander zu setzen. Im Falle der Kunstinstallation von Lena Bröcker ist die Intention aber eine sehr plakative, nach simplen Mustern gestrickte: 40 nigelnagelneue Müllcontainer stehen ganz ohne Patina - was im Alltag selten der Fall ist - auf dem Karolinenplatz. Wertstoffinseln auf einer Verkehrsinsel. Inseln auf Insel. Nette Assoziation. Und natürlich soll der Betrachter auf den täglich produzierten Müll hingewiesen werden. Prima Idee. Doch Kunst sollte auch dazu da sein, etwas zu bewirken und die Leute zu neuen Ansichten zu bewegen, also nicht bloß Kunst sein um der Kunst Willen. Die Container bewirken nichts außer der Aufregung um einen ästhetischen Bruch auf einem bunt bepflanzten Platz, die Thematik der Schönheit von Müllbehältern ist ein alter Hut.

Was aber wäre gewesen, wenn die Münchner Künstlerin einen frequentierten Container aufgebrochen und untersucht hätte, was die Menschen so wegwerfen. Wenn sie ihre Beobachtungen umgesetzt und gebündelt hätte in einem riesigen, transparenten Container, in den die Menschen hineinblicken könnten. Sich wunderten und ekelten, sich selbst ertappt fühlten. Dann hätte der Titel der Installation "Neue Werte" erst richtig gepasst. Vielleicht hätte man auch studieren können, welche Menschen sich im Alltag an den Containern tummeln, hätte dann ein weiteres Tabu aufgebrochen und deutlich gemacht, dass das Thema Müll sogar eine traurige, soziale Komponente hat. Eine riesige Greifzange an den Einwurflöchern des durchsichtigen Containers, die die Betrachter sogar benützen können - das könnte Kunst sein, die auch verändert. So passiert das, was leider oft passiert: Tabubrüche in der Kunst stoßen auf Ablehnung. Die Menschen sind nicht begeistert, verurteilen sie. Man diskutiert über das Ärgernis an sich, nicht mehr über die Thematik selbst. Chance vertan. Und 15 000 Euro.

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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