Comic-Neuerscheinungen:Action mit schnellem Strich

Lesezeit: 3 min

Ein Fachverlag für Filmliteratur wagt die Erweiterung und nimmt Comics von Dorothea Erber und K.J. Wolf ins Programm. Die jungen Autorinnen ließen sich viel von der Kinogeschichte inspirieren

Von Jürgen Moises

Die Welt, sie scheint sich aufzulösen. Auch die Menschen, sie sind plötzlich nicht mehr da. Verloren gegangen ist zudem das Zeitgefühl. Ist heute Montag, Dienstag, Mittwoch? Welchen Monat haben wir noch mal? Die Erfahrungen, welche die weibliche Hauptfigur im Comic "Come Daybreak" von Dorothea Erber macht, wirken im Corona-Alltag irgendwie vertraut. Mit der Pandemie haben sie aber allenfalls indirekt zu tun. Denn die Idee zu der Geschichte hatte die Zeichnerin aus Landshut schon vorher. Dass ihr die teilweise selbst erlebte Isolation trotzdem geholfen hat, emotional in die Geschichte "reinzukommen", will die 22 Jahre alte Mediengestalterin nicht leugnen. Um ein Virus geht es in "Come Daybreak" jedenfalls nicht, sondern um rätselhafte Erscheinungen, zu denen das Verschwinden der Sonne gehört. Und dann ist da der Mond, der sich um 180 Grad gedreht hat.

Erschienen ist "Come Daybreak" im Reinhard Weber Fachverlag für Filmliteratur aus Landshut. Dieser hat seit 30 Jahren Bücher über Karl-May- oder Piraten-Filme, Schauspieler und Regisseure wie Lee Marvin und Tonino Valerii im Programm. Comics gab es bisher nicht. Nun ist mit Dorothea Erbers "Come Daybreak" nicht nur einer, sondern mit "Cheap Souls" von Juliane alias K.J. Wolf gleich noch ein weiterer erschienen. Die 18 Jahre alte Regensburgerin, die im nächsten Jahr in Straubing ihr Abitur macht, erzählt darin vom Kleinkriminellen Neal, der in einer nicht weit entfernten Zukunft als Motorradkurier arbeitet. Neal ist verschuldet, hat einen ekelhaften Boss. Und was wollen diese maskierten Terroristen, die sein Motorrad ruiniert haben?

Was die Bücher ebenfalls verbindet: Sie sind Erstlingswerke. Keine der beiden Künstlerinnen hatte zuvor ein Buch veröffentlicht. Und beide sind bei Reinhard Weber gelandet, weil dieser statt zweier Comics ursprünglich ein Kinderbuch veröffentlichen wollte. Das sollte zuerst Wolf für Weber illustrieren, dann war Erber als Zeichnerin angedacht. Und als das Projekt komplett platzte, verrät Weber am Telefon, fragte er Wolf, ob sie nicht etwas anderes machen will. Ihre Antwort: einen Comic. Sie schlug ihm fünf oder sechs Geschichten vor und "Cheap Souls" ist es dann geworden. Bei Erber war es ähnlich.

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(Foto: Reinhard Weber)

Die 18-Jährige Juliane Wolf macht nächstes Jahr Abitur.

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(Foto: Reinhard Weber)

Als K.J. Wolf zeichnete sie mit "Cheap Souls" eine Geschichte um den Kleinkriminellen Neal,...

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(Foto: Reinhard Weber)

...in dem auch Action-Filme widerhallen.

Juliane Wolf hatte ihm ein befreundeter Lehrer aus Regensburg empfohlen. Und Dorothea Erber hat Weber durch ihre Teilnahme an "Jugend gestaltet Freizeit" in Landshut entdeckt. Begeisterte Zeichnerinnen sind beide. Und sie sind, das geben sie beim Telefoninterview zu, von Filmen sehr geprägt. Nur waren das bei Wolf vorwiegend Action-Filme, die sie sich wegen der Kampfszenen in ihrem Comic angesehen hat, während Erber eher "Road Movies oder so Mystery-Sachen" und "diese postapokalyptischen Geschichten" spannend finde, wie sie sagt. Japanische Shōnen-Mangas, also an Jugendliche gerichtete Action-Comics, waren lauf Wolf für "Cheap Souls" ebenfalls ein Einfluss.

An Stil und Inhalt merkt man ihrem Comic das auch an. Es geht um Action, um Konflikte, in einer rauen, kriminellen Welt, die bis auf ein paar rote Akzente in Schwarz-Weiß und in einem leicht ruppigen Stil gezeichnet ist. Auch in "Come Daybreak" gibt es Action-Elemente, etwa wenn die Hauptfigur vor einem Rudel Hunde fliehen muss. Ansonsten wird aber eher auf Atmosphäre gesetzt. Die Farbpalette ist auf Weiß, Blau und Schwarz reduziert. Figuren und Gegenständiges wurden mit klaren Linien gezeichnet und dann digital monochromatisch koloriert. Im Vergleich zu "Cheap Souls" gibt es nur wenige Dialoge. Stattdessen taucht man durch innere Monologe in den Kopf der Hauptfigur und dadurch in die Handlung ein.

Was an "Come Daybreak" ebenfalls auffällt, ist, dass es keine Handys und Computer darin gibt. Erber erklärt das durch ein Faible für gewisse "Vintage-Sachen". Und dadurch, dass es bei ihr zu Hause "noch viele Sachen von den Generationen vor mir gibt". Dazu gehören Dinge von den Großeltern, die statt Internet nur Radio und Fernsehen gehabt hätten. Außerdem trage das natürlich auch "zur Spannung bei, also dass man sich nicht gleich alle Informationen auf einmal schnell besorgen kann". Jedenfalls fühlt man sich zuweilen an Achtzigerjahre-Horrorfilme wie "The Fog" erinnert, auch zu "Matrix" tauchen Assoziationen auf. Gleichzeitig wirken Motive wie Nebel oder wilde Hunde aber auch etwas versatzstückhaft. Und bei "Cheap Souls" hätte man vielleicht noch etwas an Dramaturgie und Dialogen feilen können.

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(Foto: Reinhard Weber)

Die 22-jährige Mediengestalterin Dorothea Erber...

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(Foto: Reinhard Weber)

...hat ein Faible für "Vintage-Sachen" und subtilen Horror und erzählt in "Come Daybreak"...

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(Foto: Reinhard Weber)

...von einer Welt, die aus den Fugen gerät.

Überzeugende Erstlingswerke sind die Comics aber allemal. Und wegen ihrer offenen Enden möchte man bei beiden wissen, wie es weitergeht. Juliane Wolf könnte sich eine Fortsetzung auch vorstellen, bei Dorothea Erber ist das noch nicht klar. Fest steht, dass beide zum Medium Comic zurückkehren wollen. Wann und wie ist wiederum die Frage. Denn Erber wird ab September Game Art und 3-D-Animation in München studieren und ihre Geschichten dann auf andere Art erzählen. Wolf hat ebenfalls ein noch nicht feststehendes Studium geplant.

Und Reinhard Weber? Der würde gerne beiden oder auch anderen jungen Zeichnern eine weitere Chance bieten. Im Moment denkt der Verlagsleiter sogar über eine komplette Neuausrichtung des Programms nach, weg vom Film in Richtung Comic. Er weiß aber auch, dass es mit Verlagen wie Cross Cult oder Reprodukt große Konkurrenz gibt. Und ob er das macht, hängt neben den Zukunftsplänen seiner Zeichnerinnen auch vom Feedback auf die Comics ab. Das zu bekommen, ist während Corona gar nicht einfach, wenn Messen und geplante Lesungen ausfallen. Im Moment hofft er auf die Frankfurter Buchmesse und die Münchner Bücherschau. Es wäre jedenfalls schade, wenn "Come Daybreak" und "Cheap Souls" nahezu unbemerkt im Corona-Nebel verschwinden.

Dorothea Erber: Come Daybreak , 72 S.; K.J. Wolf: Cheap Souls , 80 S., Reinhard Weber Fachverlag für Filmliteratur, www.filmliteratur.com

© SZ vom 01.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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