Bürgerfest:Zurück im Herzen der Stadt

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Kurze Reden, entspannte Atmosphäre: Die Israelitische Kultusgemeinde feiert ihren 200. Geburtstag auf dem St.-Jakobs-Platz

Von Wolfgang Görl

Eine gute halbe Stunde ist Maria Haderer in der Schlange gestanden, einer Schlange, die vom Eingang der Synagoge auf dem St.-Jakobs-Platz bis zum Sebastiansplatz reichte. Aber das Warten, sagt sie, hat sich gelohnt. Wie so viele Münchner an diesem regnerisch-kühlen Sonntagnachmittag hat sie die im November 2006 eingeweihte Ohel-Jakob-Synagoge besichtigt, hat sich die Architektur und die religiösen Gebräuche erklären lassen, hat zum ersten Mal gesehen, was sich hinter den mächtigen Mauern verbirgt. Maria Haderer ist überrascht, ja begeistert: "Diese Klarheit, diese Architektur ohne Schnörkel - das ist beeindruckend." Die Helligkeit des Innenraums hat auch Susanne Finger fasziniert, die ebenfalls bei der Führung dabei war. Vor allem aber "ist die Freundlichkeit überwältigend", fügt sie hinzu. Damit meint sie nicht nur die Menschen in der Synagoge, sondern generell die Atmosphäre auf dem St.-Jakobs-Platz.

Vor 200 Jahren ist die "Israelitische Kultusgemeinde München" gegründet worden, ein Anlass, der am Sonntag von mittags bis abends mit einem sehr entspannten und fröhlichen Bürgerfest gefeiert wird. Gleich zu Anfang postieren sich rund 20 meist ältere Herren auf der Bühne, in schwarze Anzüge gehüllt und das Haupt mit einer Kippa bedeckt. Es ist der Synagogenchor Druschba-Chawerut, dessen Mitglieder vorwiegend aus der ehemaligen Sowjetunion stammen und die in München eine neue Heimat gefunden haben. Mal sind es religiöse, fast meditative Lieder mit hebräischem Text, die der Chor zum Klavierspiel von Igor Bruskin anstimmt, dann geht es wieder heiter und ausgelassen zu, etwa bei dem populären Lied "Wenn der Rebbe lacht", bei dem einer der graubärtigen Sänger tanzt wie ein junger Bräutigam. Nicht nur Kenner der Materie wippen und klatschen da mit, und der Jubel ist groß, als sich die Herren in Schwarz, die von der energischen Dirigentin Tamara Umanskaya sicher über sämtliche musikalische Klippen der Partituren geleitet wurden, zum Abschied verbeugen.

"Druschba" heißt Freundschaft, und da hatte Kulturreferent Hans-Georg Küppers gleich mal ein schönes Stichwort für sein Grußwort. Was die Vergangenheit betrifft, die Verfolgung und Ermordung der Juden in der NS-Zeit, muss Küppers nicht viel sagen. Jeder weiß hier, welche unsäglichen Verbrechen die Nazis verübt haben, auch und gerade in München, wo Hitler und seine Komplizen die ersten Schritte auf dem Weg in die Barbarei unternommen hatten. Und mit Blick auf diese Vergangenheit sagt Küppers, es grenze an ein Wunder, "dass wir jetzt auf diesem Platz stehen, im Herzen der Stadt". Ja, es sei ein Wunder, dass "jüdisches Leben hier wieder eine Heimat gefunden hat". Es ist eine kurze Ansprache, aber sie hat eine klare Botschaft: "Wir brauchen dieses Leben, wir brauchen diese Kultur. Das ist auch ein Zeichen gegen Antisemitismus, gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Rassismus. Diese werden wir auch in Zukunft in München nicht dulden."

Während die Zuhörer noch Küppers' Worten applaudieren, haben es sich andere Besucher bereits am Stand des Restaurants Einstein gemütlich gemacht. Man serviert Pita-Sandwich mit Falafel oder Schowarma - das sind marinierte Geflügelstücke - , selbstverständlich alles koscher. Quasi als christliches Pendant zum Druschba-Chawerut-Chor singen und spielen am Nachmittag die Schwestern vom benachbarten Angerkloster. Auch deren St.-Jakobskirche steht auf dem Programm der Führungen - man will ja "Brücken bauen", wie Conny Glogger vom Bayerischen Rundfunk, die das Bühnenprogramm moderiert, eingangs gesagt hat.

Es sind nicht nur die großen historischen Ereignisse und Brüche, an denen sich ablesen lässt, wie die Zeit vergeht. Dazu eignen sich auch die alltäglichen Dinge, etwa die Mode. Dies ist die Botschaft einer wunderbaren historischen Modenschau, die Schülerinnen der Armen Schulschwestern vom Angerkloster sowie Jugendliche der Israelitischen Kultusgemeinde schwungvoll auf der Bühne präsentieren. Was zum Beispiel trugen die Münchner um 1870? Die Dame ein prachtvolles weißes Kleid, das eine Krinoline in Glockenform bringt, der Herr einen dunklen Anzug mit Gehstock, Stehkragen und Zylinder - sehr festlich, sehr vornehm und gewiss nichts für die täglichen Pflichten. Verspielter und ein klein wenig kokett ist die Damemode der Jugendstil-Epoche; und dann erst die Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts: Die Frau zeigt Bein bis zum Knie, das Kleid glitzert und blinkt, während sie mit ihrem Partner Charleston tanzt. Und schließlich die Fünfzigerjahre: Petticoat, Pferdeschwanz, Jeans und Rüschenhemd - nicht wenige der Zuschauer dürften darin den Stil ihrer Jugend erkannt haben. Oder aber sie sind in den Klamotten herumgelaufen, welche die beiden Models zum unsterblichen Song "California Dreamin'" vorführen: Das Girl mit Plateauschuhen, das Haar gekrönt von einem Blümchenkranz, der Boy mit Schlaghose und buntem Hemd - das Hippie-Ding. Wie doch die Zeit vergeht.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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