Boazn-Gschichten:Liebe auf den ersten Riecher

(Foto: Deck/dpa)

Für manche ist der Duft einer Kneipe der beste Freund. Weil er einem nie von der Seite weicht.

Kolumne von Christoph Hollender

Darf ich vorstellen? Mein guter Freund: Münchner Boaznduft. Widerlich sympathisch bist du mir, süßsaurer Biermock. Du brennst zwar gelegentlich in den Augen, aber gute Freunde dürfen das. Vielleicht sind es auch Freudentränen. Weil ich dich endlich wieder treffe, treuer Kamerad. Du bestehst seit Jahrzehnten aus der gleichen Sorte Bier und Schweiß. Deinen geringen Anteil an säuerlichem Urin wirst du auch behalten, weil die Tür zur Toilette immer offensteht. Alles wie immer, denke ich und atme tief ein. Es gab Zeiten, in denen ich in einer Cocktailbar nach Freunden suchte. Doch dort waren die meisten ziemlich geschmacks-, pardon: geruchslos. Also ging ich enttäuscht in eine Münchner Boazn. Und als ich nicht damit rechnete, traf ich dich. Verlockend duftend nach Bier, Schnaps, altem Holz und dreckiger Wäsche. Es war Liebe auf den ersten Riecher.

Bis heute verbringe ich gerne Zeit mit dir, obwohl nach einigen Stunden meine Kleidung ekelhaft nach dir riecht. Nach Ausdünstungen aller Art - von Getränken und Menschen. Deshalb gehe ich nach einem Boaznabend auch nie alleine nach Hause, du begleitest mich. Ein wahrer Freund. Nur mit in die Wohnung darfst du nicht, das gibt Ärger mit meiner Freundin. Sie sagt: Du stinkst. Deshalb ziehe ich meine Kleidung schon im Hausgang aus, wo du bis zum Morgen vor dich hin duften darfst. Noch einmal nehme ich einen tiefen Lungenzug meines Freundes und sage leise: Ich rieche Dich! Bis bald.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Serie
:Was macht München mit dir?

Das Lebensgefühl junger Menschen in München - wie schaut das aus? Was treibt sie um? Was lieben sie an dieser Stadt? Eine Serie im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung sucht Antworten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: