Blick in die Geschichte:Vom Schuften auf der Lehmzunge

Lesezeit: 3 min

Ein neuer Band der Reihe "Themengeschichtspfad" beschäftigt sich mit der Ziegeleien im Münchner Osten. Die Broschüre gibt Einblick in das Leben der Lehmbarone und die Lebensbedingungen der bettelarmen Arbeiter

Von Renate Winkler-Schlang, Oberföhring

Ein Ziegeldach auf Ständern, in der luftigen Halle ohne Wände stehen alte Holzregale: Hier konnten die Bausteine aus Lehm trocknen, ehe die bitterarmen Saisonarbeiter aus dem Friaul sie in den Ringofen schoben zum Brennen. Beinahe wäre auch dieses Relikt der Ziegeleien-Vergangenheit in Oberföhring verschwunden, der Verein Nordostkultur hat es gerettet. Der ideale Ort war der Trockenstadel an der Straße Zur alten Ziegelei am Freitag, um eine kleine Broschüre vorzustellen, welche die spannende Geschichte der Ziegel-Industrie zwischen Ramersdorf und Oberföhring im wahrsten Sinn "erfahrbar" macht: Die Historikerin Anita Kuisle hat für das städtische Kulturreferat ein Büchlein in der Reihe "Themengeschichtspfad" zu den Ziegeleien im Münchner Osten erarbeitet; es ist eine reich bebilderte Anleitung zur Spurensuche. Drei Radtouren schlägt Kuisle vor: Im Süden reicht die erste von Ramersdorf bis Berg am Laim. Die zweite umfasst Bogenhausen und Haidhausen; die Tour Nord führt nach Denning, Bogenhausen, Englschalking, Johanneskirchen und Oberföhring.

Abgeziegelt - so nannten es die Lehmbarone, wenn eine Landzunge ausgebeutet und das begehrte Material veredelt worden war. Dann mussten die Arbeiter in der nächsten Saison ein wenig weiter nach Norden ziehen. Rund 100 Ziegeleien hat es gegeben im Münchner Osten, jedoch nicht gleichzeitig. Viele sind zu sehen auf einem Luftbild, das 1918 aus einem Fesselballon aufgenommen wurde. Weil das Areal nach dem Abziegeln wertvolles Bauland wurde, verschwanden diese Produktionsstätten. Kuisle hatte daher anfangs Bedenken, dass sie den Münchnern nur erklären müsse: "Wie Sie sehen, sehen Sie nichts". Doch weit gefehlt. Ihre erste "Fundgrube", wie sie sagt, waren die alten Friedhöfe, in den Gräberreihen fand sie teilweise ganze "Ziegler-Viertel". Aufmerksam machen will sie auch auf die Bauwerke aus den Ziegeln, denn "Ohne den Lehm dat's München net geb'n", wie ein zeitgenössisches Sprichwort lautet. Vor allem an unverputzten Kirchen lasse sich das nachvollziehen, sagt Kuisle. Der Spruch prangt auch an der Stadelwand.

Kuisle entdeckte aber auch altes Straßenpflaster aus Lehmsteinen in einer kleinen Grünanlage in Johanneskirchen. Auch an die italienischen Wanderarbeiter wird erinnert, etwa mit dem Ziegler-Brunnen in Haidhausen vor der St. Johanneskirche. Eine bis eineinhalb Millionen Ziegelsteine war die "Saisonernte" einer dieser Ziegeleien, erklärt Kuisle: Ein Anwesen mit vier Stockwerken und Hinterhaus erforderte rund 400 000 Mauersteine. Für die Auslastung der Werke sorgten auch der Bau von Kasernen und von Abwasserkanälen.

Roland Krack vom Verein Nordostkultur freute sich, dass die Stadt diese Geschichtsarbeit mit dem Themengeschichtspfad unterstützt. Grünen-Stadtrat Florian Roth zog bei der Vorstellung des Büchleins Parallelen zur heutigen Zeit: Damals wie jetzt sei München rasant gewachsen, habe es Arbeitskräfte aus dem Ausland gebraucht, mussten Kinder in Schulklassen integriert werden.

Die Arbeiter brachten ihre Kultur mit, auch ihre Lieder. Daran erinnerte das Duo Folk Core mit Songs von damals. Einer erzählt von der Angst der daheimgebliebenen Ehefrau, dass ihr Mann in den Sommermonaten nicht nur Ziegel macht, sondern auch "Liebe mit einer blonden Frau". Eine besonderes Erinnerungsstück zeigte Franco Pezetta, ein 78-jähriger Oberföhringer Maschinenschlosser, der noch in den Sechzigerjahren die Maschinen der Ziegelei Haid repariert hatte. Es war ein kleines Heiligenbildchen mit dem "Gebet der Ziegelarbeiter" an die Mutter Gottes, vorne eine Madonna, geformt aus Haidhauser Lehm, mitgenommen in die Heimat Udine.

Im Wohngebiet an der alten Ziegeleistraße hat der Verein Nordostkultur den Maschinen aus der Ziegelei Haid ein neues Ziegel-Domizil geschaffen und bietet dort auch regelmäßig Führungen an. Auch am Freitag erzählte Lothar Röth den Gästen, wie und warum die Löcher in die Ziegel kamen: Es ging nicht etwa um die bessere Wärmedämmung, es wurde schlicht der Lehm knapp. Röth machte auch anschaulich, wie die Arbeitsbedingungen waren: heiß, laut, ohne Unfall- und ohne Lärmschutz. Dass ein Arbeiter in die Presse gefallen war, bemerkten die anderen erst an der blutroten Farbe des Ziegelblocks.

Das Büchlein mit den Texten, ausführlichen Wegbeschreibungen und Karte gibt es kostenlos in der Stadtinformation am Marienplatz und im Infopoint im Alten Hof. Man kann es aber auch auf der Seite www.muenchen.de/tgp herunterladen.

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: