Blick aus Singapur:Bloß kein Stillstand

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Die U-Bahn im Stadtstaat zeigt: Es geht auch ohne Ringe und Zonen

Von Arne Perras

Richtigen Stau? Kennen die Singapurer nicht. Ist ihnen auch zuwider. Die Unruhe der Fahrer nimmt schon zu, wenn es auf dem Asphalt mal ein wenig stockt, Stop-and-go, das ist bereits eine mittlere Katastrophe. Ungeduldiges Trommeln auf das Lenkrad. Nervöses Zucken auf dem Gaspedal. Wer eine Weile in Singapur zubringt, lernt, dass diese Gesellschaft kaum etwas mehr fürchtet als den Stillstand. Die Sorge, dass irgendwann nichts mehr vorangehen könnte, spiegelt sich auch in der rastlosen Geschichte des dicht besiedelten Stadtstaats, der sich in weniger als einem halben Jahrhundert vom versumpften Freihafen einer europäischen Kolonialmacht in eine der modernsten Metropolen der Welt verwandelt hat. Und Singapur besitzt ein öffentliches Verkehrsnetz, um das es viele Nachbarn beneiden.

Ein Ingenieur, der lange an der Planung beteiligt war, erklärt den Erfolg nicht alleine, aber auch mit dem eisernen Willen der Regierung. Sie steuert alles bis ins Kleinste und hat nie gezögert, neueste Technik auf ihre Brauchbarkeit zu testen: ein Überlebensprinzip, denn Singapur ist klein, nur zweieinhalb mal größer als München. Es besitzt keine natürlichen Ressourcen. Bleibt nicht viel anderes, als den Grips anzustrengen und auszuloten, was die Wirtschaft ankurbelt und die Zukunft sichern könnte. Ein gewaltiges urbanes Labor ist so entstanden, in dem Technokraten weit mehr zu sagen haben als anderswo.

Was dabei für den Verkehr herausgekommen ist? Die weit verzweigte U-Bahn ist effizient und günstig (man fährt für 1,70 Euro quer durch die ganze Stadt), was auch deshalb geht, weil sehr viele Menschen das Netz ständig nutzen. Man muss auch nicht über Außen- und Innenräume, Zonen, Kreise und Streifen promoviert haben, um den richtigen Fahrpreis lösen zu können. Das System ist praktisch, man bucht Geld auf eine digitale Karte, man geht durch Schranken hinein und hinaus. Und der Fahrpreis wird automatisch abgebucht. Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht.

Alles fließt. Aber nur, weil Singapur als erstes Land der Welt die Citymaut eingeführt hat, weil die fest im Sattel sitzende Regierung auch unpopuläre Entscheidungen durchsetzt. Dazu gehört, dass die Zahl der Autos im Stadtstaat gedeckelt ist. Außerdem sind Zulassungen für Kraftwagen so teuer, dass sich die Masse das gar nicht leisten kann. Also bleiben nur U-Bahn, Bus und vergleichsweise günstige Taxis, um den Alltag zu bewältigen. Selbst am Steuer zu sitzen, ist Luxus. Das bedauern viele Singapurer. Doch der Verkehrsinfarkt bleibt der Stadt dadurch erspart. Und davon profitieren alle.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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