Blick aus London:38 Quadratmeter Paradies

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Briten kaufen lieber als zu mieten - in London geht das manchmal nur in Mini-Apartments

Von Björn Finke

Es ist schwierig, in Londons Einkaufsstraßen einen gescheiten Bäcker zu finden. Makler gibt es dafür zuhauf. In ihren Schaufenstern hängen Fotos von schicken und weniger schicken Wohnungen und Häusern. Neben den Bildern sind blumige Beschreibungen zu lesen - und gesalzene Preise und Mieten. Der Durchschnittspreis einer Immobilie in der Metropole liegt bei 489 000 Pfund, das hat das Statistikamt ermittelt. Das sind fast 540 000 Euro. In den teuersten Stadtteilen Chelsea und Kensington werden im Schnitt mehr als 1,4 Millionen Euro verlangt.

Bei einem Schaufensterbummel entlang der Maklerfilialen drängt sich die Frage auf, wie sich normale Briten das Wohnen in ihrer Hauptstadt noch leisten können. Schließlich beträgt der Durchschnittsverdienst selbst im boomenden London nur 35 000 Pfund im Jahr. Viele junge Berufstätige leben deswegen in Wohngemeinschaften und senken so ihre Monatsmiete. Ihnen fällt es schwer, genug Geld zu sparen, um irgendwann einmal ausreichend Kapital für den Kauf eines Apartments zusammenzubekommen. Das ist bitter, denn im Königreich gilt das Motto: My home is my castle. Wer etwas auf sich hält, kauft und mietet nicht.

Ein Immobilienentwickler versucht, jungen Briten den ersten Kauf in London einfacher zu machen: mit sehr kleinen, aber praktischen Apartments, die vergleichsweise billig zu haben sind. Das Unternehmen heißt Pocket, also Tasche, und es ist nur eine leichte Übertreibung zu sagen, dass die Firma Wohnen im Taschenformat anbietet. Die Apartments überschreiten mit 38 Quadratmetern so gerade die gesetzliche Mindestgröße.

Die Quadratmeter verteilen sich auf Schlafzimmer, Bad, den winzigen Flur und die Wohnküche. Heizkörper nähmen Platz weg, darum verwendet Pocket Fußbodenheizungen. Eine Badewanne gibt es nicht, und die Fenster gehen vom Boden bis zur Decke, damit die kleinen Räume heller wirken. Um die Baukosten zu senken und die Wohnungen billiger verkaufen zu können, verzichtet die Firma auf Balkone und ersetzt Tiefgaragen durch Fahrradständer - Ideen, wie sie auch bei neuen Münchner Projekten diskutiert werden, die schnell viel Wohnraum schaffen sollen. Im Moment vermarktet die Firma Pocket in London zwei zentral gelegene Neubauten mit insgesamt 70 Wohnungen am südlichen Themse-Ufer. Für die 38 Quadratmeter dort sind umgerechnet 290 000 Euro fällig - für Londoner Verhältnisse ein Schnäppchen.

Pocket verkaufte die ersten Apartments vor zehn Jahren. In diesem Jahr sollen etwa 200 fertiggestellt werden, bis 2019 sollen es weitere 665 sein. Die Firma wächst rasant - und profitiert von der Wohnungsnot. Die Kunden sind im Durchschnitt 32 Jahre alt. Marketing-Vorstand Lucian Smithers sagt, die Mini-Apartments seien für viele Käufer "ihr bisher geräumigstes" Heim. "Während des Studiums waren sie im Wohnheim", sagt Smithers. "Und als sie in London angefangen haben zu arbeiten, zogen sie in eine Berufstätigen-WG."

Da sind 38 Quadratmeter ganz für einen alleine geradezu ein Paradies. Ein kleines Paradies.

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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