Bilder einer Stadt:Gut für Überraschungen

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SZ-Fotografen zeigen in einer Serie ihren besonderen Blick auf das Leben an der Isar. Den Auftakt macht Stephan Rumpf mit dem Thema: Wo München Großstadt ist

Von Wolfgang Görl

Als Ende der 1920er-Jahre das Städtische Hochhaus in der Blumenstraße gebaut wurde - es ist sagenhafte 45 Meter hoch -, klagte Karl Valentin: "Leider hat der Fortschritt, der ja nicht aufzuhalten ist, geradlinige und viereckige Häuserkolosse mitten in die Stadt gestellt, sogar einen Wolkenkratzer, es beginnt also schon zu newyorkeln." Nun ja, zum bayerischen New York ist München dann doch nicht geworden, obwohl einige Hochhäuser hinzugekommen sind. Aber von einer Großstadt darf man vielleicht schon reden - zumindest wenn keine Berliner zugegen sind, die natürlich viel mehr Dönerbuden, Hundehaufen und zu Recht verkannte Künstler haben als die Münchner.

Womöglich ist es auch nicht verkehrt, das Großstädtische in der Art und Weise zu suchen, wie Menschen leben und arbeiten. So jedenfalls sieht es SZ-Fotoreporter Stephan Rumpf, weshalb es für ihn nicht infrage kam, einfach nur das Städtische Hochhaus oder den mehr als drei Mal so hohen Uptown-Turm am Georg-Brauchle-Ring abzulichten, um Münchens urbane Großartigkeit zu dokumentieren. Nein, lohnender ist es, durch die Straßen zu pirschen, etwa im Bahnhofsviertel. Der Münchner tritt hier vermehrt in seiner orientalischen Erscheinungsform auf, als türkischer Gemüsehändler beispielsweise. Ein paar Meter weiter steht man vor der Tür einer der schummrigen Tabledance-Bars, die den Straßenzügen eine verruchte Note verleihen, welche aber so gedämpft ist, dass der Eindruck eines Sündenpfuhls ausbleibt. Alles Mögliche kommt in diesem erfreulich unaufgeräumten Viertel zusammen, hier ist das Exotische ebenso selbstverständlich wie das Frivole und, ja doch, auch das Bodenständige. So wäre man nicht sonderlich überrascht, würde durch die Landwehrstraße neben den obligatorischen Münchner Strizzi-Cabrios auch mal ein Kamel Richtung Paulskirche ziehen.

Ist dieses Nebeneinander diverser Kulturen und Lebensentwürfe nicht gerade das, was eine Großstadt auszeichnet? Nur wer die physiognomische Monotonie einer Schafsherde für erstrebenswert hält, würde das leugnen. München aber ist für Überraschungen gut, da kann es passieren, dass auf den Eisenbögen der Hackerbr ücke eine Amerikanerin am frühen Morgen Ballettposen übt, während die Händler in der Großmarkthalle Obstkisten stapeln. So ist das nun mal in der Großstadt.

Hinter der Kamera: Für die Süddeutsche Zeitung fotografiert Stephan Rumpf schon seit 25 Jahren. Beigebracht hat er sich sein Wissen und Handwerkszeug dazu selbst. Vor 45 Jahren zog er, damals zwei Jahre alt, von Hilden im Ruhrpott nach München. Das ist zwar vielleicht keine richtige Großstadt wie Hamburg, Berlin oder London, aber eine große Liebe. Seine bevorzugten Reviere: das Glockenbachviertel, der wilde Viehhof, der Roecklplatz mit dem schönen italienischen Café von Elio, das Bahnhofsviertel, die Hackerbrücke. Unterwegs ist er auf seinen Streifzügen übrigens fast nur noch mit dem E-Bike.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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