Bewegte Geschichte:Eine runde Sache

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Im nächsten Jahr feiert das Fahrrad seinen 200. Geburtstag. Unter dem Titel "Balanceakte" plant das Deutsche Museum eine Sonderausstellung, in der die Entwicklung vom Laufrad bis zum modernen E-Bike zu sehen ist

Von Marco Völklein

Tja, sagt Bettina Gundler, die Chefin des Verkehrszentrums des Deutschen Museums auf der Schwanthalerhöhe, und zuckt mit den Achseln. "Wir wissen noch nicht so recht, was wir damit machen werden." Gundler steht im Museumsdepot in Oberschleißheim vor einer Wand mit historischen Fahrrädern. Die Techniker haben mehrere Hochräder dort aufgehängt, auch Fahrräder mit Kardanantrieb sind deponiert. "Von denen werden wir natürlich mindestens jeweils eines zeigen", sagt Gundler. Aber dieses eine Holzgefährt hier - bei dem ist sie sich unsicher.

Am 12. Juni 1817 setzt sich Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn vor seinem Wohnhaus in der Mannheimer Innenstadt auf ein recht eigenartiges Gefährt, das er "Laufmaschine" nennt - und düst mit diesem gen Süden, bis in den heutigen Mannheimer Vorort Rheinau zum Schwetzinger Relaishaus, einer Art Poststation. Das Gefährt gilt als der Urtyp des Fahrrades. Zwar hat Drais' Laufmaschine noch keine Pedale, auch eine Kette fehlt, an Beleuchtungsanlage, Gepäckträger oder gar Stoßdämpfer ist nicht zu denken. Doch die Idee, zwei Räder in einer Reihe hintereinander anzuordnen, macht die Erfindung einzigartig. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass man das Vorderrad lenken können muss, um die Balance auf der Maschine nicht zu verlieren. Drais jedenfalls bringt es bei seiner Ausfahrt auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde. Für damalige Verhältnisse ein rasantes Tempo.

Die Münchner strampeln gerne wie bei der Radlnacht: Im kommenden Jahr widmet das Deutsche Museum der Entwicklung des Radfahrens eine Sonderschau. (Foto: Stephan Rumpf)

Wenn also im kommenden Sommer der 200. Jahrestag der Drais'schen Jungfernfahrt gefeiert wird, dann wollen auch Bettina Gundler und ihre Leute vom Verkehrszentrum dabei sein. Seit Oktober 2015 tüftelt die Museumsleiterin zusammen mit einem Kurator und einer Volontärin an der geplanten Sonderausstellung. "Balanceakte" wird sie heißen, die Eröffnung ist für Anfang oder Mitte Juli 2017 geplant. Und bis dahin ist noch einiges zu tun.

Zum Beispiel ist die Frage zu klären, wie Gundler und ihr Team nun mit diesem hölzernen Gefährt umgehen, das da im Depot an der Wand hängt. Es ist ebenfalls eine Laufmaschine; und sie ähnelt der von Drais aus dem Jahr 1817. Es ist aus Holz, hat einen harten Ledersattel und eine Lenkung, die es dem Fahrer ermöglicht, das Vorderrad bequem vom Sattel aus zu steuern. Erfunden wurde die Maschine von Michael Kaßler (1733-1772). 1761 soll er damit eine erste Ausfahrt unternommen haben.

Das behaupten zumindest die Kaßler-Fans. 2011 feierten sie in dessen Geburtsort Braunsbedra in Sachsen-Anhalt, das zu Kaßlers Zeiten noch Braunsdorf hieß, das Jubiläum der Jungfernfahrt vor 250 Jahren. Doch ob das Rad auch in der Sonderschau in München zu sehen sein wird, ist bislang noch offen. "Die Quellenlage ist da leider nicht eindeutig", sagt die Verkehrshistorikerin Gundler. Deshalb überlegen sie und ihre Mitarbeiter noch, ob sie das gute Stück tatsächlich zeigen.

Bettina Gundler, Chefin des Verkehrszentrums, kümmert sich ums Rad. (Foto: Robert Haas)

Auch viele weitere Details der Ausstellung werden gerade noch entwickelt. So würden Gundler und ihre Leute zum Beispiel gerne die vielen verschiedenen Fahrräder aus den Zwanziger-, Dreißiger- und Fünfzigerjahren zeigen, die im Depot des Deutschen Museums lagern. "Das Fahrrad war damals Volksverkehrsmittel Nummer eins", sagt Gundler. Hunderte Marken existierten, sie ermöglichten es auch Menschen mit kleinen Einkommen, zu weiter entfernteren Arbeitsstätten zu kommen oder am Wochenende aus der Stadt raus zu einem Ausflug ins Grüne. In der Sonderschau wollen die Ausstellungsmacher auch dies verdeutlichen, indem sie mehrere Dutzend solcher Alltagsräder, die in der Regel schwarz lackiert waren, in einem großen Pulk aufstellen.

Ebenfalls einen festen Platz in der Ausstellung wird ein "Auto-Velo" erhalten, ein Klappfahrrad des Herstellers Hercules aus den Sechzigerjahren. "Das zeigt gut, was zum zwischenzeitlichen Niedergang des Fahrrads geführt hat", findet Gundler. Ein Rad in relativ schlechter Qualität, schwer zu fahren, umständlich zusammenzufalten - um es, der Name sagt es ja schon, im Kofferraum des Autos verräumen zu können. Das Motor-getriebene Kraftfahrzeug löste so als beliebtestes Fortbewegungsmittel das Fahrrad nach und nach ab.

Mittlerweile hat sich - vor allem in den Städten - das Bild wieder verändert. Gerade bei jungen Leuten ist das Fahrrad beliebt, es gibt viele Modellvarianten und Nutzungsmöglichkeiten. "Wir wollen versuchen, das Thema in die Jetzt-Zeit herüberzuziehen", sagt Gundler. Moderne Räder wollen die Ausstellungsmacher zeigen, zudem soll es um das (oft spannungsgeladene) Miteinander von Radlern, Fußgängern und Autofahrern im Straßenraum gehen. Das Rad als Freizeit- und Sportgerät wird eine Rolle spielen; auch soll die Schau deutlich machen, dass Dienst- und Lastenräder lange eine wichtige Transportfunktion hatten. Das Museum habe seit einigen Jahren schon "die Tore geöffnet", um neue Ausstellungsstücke anzukaufen, sagt Gundler. Nicht nur historische Räder, auch moderne Velos, beispielsweise mit E-Antrieb. Denn: "Auch motorisierte Fahrräder sind ja nicht erst seit Kurzem ein Thema."

Zudem hoffen die Museumsleute, mit der Schau junges Publikum zu begeistern. So soll es auch einige Mitmach-Stationen geben: Gundler würde gerne ein Hochrad aufstellen, in dessen Sattel sich die Besucher nicht nur schwingen, sondern mit dem sie auch mal ein paar Runden drehen können. Geplant ist zudem, einen Nachbau der Drais'schen Fahrmaschine anzufertigen, auf der die Besucher dem Fahrgefühl des Jahres 1817 nachspüren können.

© SZ vom 24.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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