Betriebsstörung:Gefährliches Flugobjekt

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An den Bahnhöfen der S-Bahn-Stammstrecke hängen seit einiger Zeit Plakate. Sie weisen auf das Verbot metallbeschichteter Luftballons in der Röhre hin. (Foto: Stephan Rumpf)

Dass am Sonntag ein Luftballon in der Oberleitung die Stammstrecke über Stunden lahmlegte, war kein Einzelfall. Siebenmal ist das im vergangenen Jahr passiert. Dabei sind die Ballons in der S-Bahn-Röhre längst verboten

Von Andreas Schubert

Der Schaden, den ein verirrter Luftballon an Neujahr in der Stammstrecke ausgelöst hat, liegt nach Angaben der Bahn im "mittleren fünfstelligen Bereich". Noch ist allerdings nicht geklärt, wer für den Ausfall verantwortlich war. Die Bahn vermutet bislang, dass ein Kind das Chaos am Stachus ausgelöst hat, indem es den mit Metall beschichteten Ballon losließ. Der führte dann in der Röhre zu einem Kurzschluss.

Der Schaden ist so hoch, weil zu den Reparaturkosten noch die Kosten für den Zugausfall kommen - bei jeder Verspätung muss die Bahn eine Vertragsstrafe an den Freistaat zahlen. Ob die Bahn jemanden finanziell zur Rechenschaft ziehen würde, wenn in so einem Fall wirklich ein Versehen vorliegt, ließ ein Bahnsprecher am Montag offen. Aber: "Wenn so etwas mutwillig geschieht, dann fordern wir auf jeden Fall Schadenersatz."

Womöglich gälte das sogar als Straftat: Bei der Bundespolizei ist zu erfahren, dass ein gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr vorliegt, wenn eine Person einen Zug zum Stehen bringt oder gar noch etwas beschädigt. Bei einem strafunmündigen Kind wäre es aber nicht einfach, die Schuldfrage zu klären: Haben die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt? Dies herauszufinden, sei in so einem Fall Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sagt ein Polizeisprecher.

Wer auch immer für den Schaden haften müsste: An die Meldung "Luftballon legt Stammstrecke lahm" haben sich die Münchner längst gewöhnen müssen. Denn immer wieder kommt es vor, dass ein Ballon im S-Bahn-Tunnel einen Kurzschluss verursacht. Allein 2016 passierte das siebenmal. Überhaupt ist die Phrase "legt lahm" im Zusammenhang mit der S-Bahn-Oberleitung auf der Stammstrecke recht oft im Archiv zu finden. Vergangenen Mai war es ein Vogel, im Februar ein Ast und im Oktober davor eine Strickjacke, die jeweils an das Stromkabel gerieten.

Weil der jüngste Kurzschluss die Leitungen nicht nur hat ausfallen lassen, sondern auch beschädigt hat, war der Verkehr am Sonntag von 15 Uhr an bis in den Abend behindert. Ein Kurzschluss entsteht an der Strecke immer dann, wenn ein leitender Gegenstand zwischen Fahrdraht und Tragseil gerät und so den Stromkreis schließt. Bei einem Plastikluftballon kann das nicht passieren, weil er nicht leitet. Sehr wohl aber bei anderen Gegenständen oder Körpern, da braucht es bei einer Oberleitungsspannung von 15 000 Volt noch nicht einmal eine direkte Berührung: Es kann zu einem sogenannten Stromüberschlag kommen. Und nicht nur so mancher Vogel, auch Menschen, die aus Übermut aufs Dach von Zügen gestiegen sind, haben dafür schon mit ihrem Leben bezahlt.

Diesmal kam niemand zu Schaden. Aber Andreas Nagel von der Aktion Münchner Fahrgäste nervt schon seit Langem der Umstand, dass sich ein gesamtes S-Bahn-System so leicht durcheinander bringen lässt wie diesmal durch einen Luftballon. Deshalb müsse dringend etwas unternommen werden. "Wir fordern eine massive Ertüchtigung der bestehenden Stammstrecke, zum Beispiel mit einer festen Oberleitung", sagt Nagel. Zur Erklärung: Die Oberleitung in der Röhre ist wie auch an den Außenästen hängend befestigt. Eine feste Leitung hinge dagegen wie eine Art Stromschiene an der Decke und wäre bei einem Kurzschluss - der sich im Falle des Ballons auch bei dieser Konstruktion nicht hätte vermeiden lassen - schneller zu reparieren. Im City Tunnel in Leipzig etwa ist diese Konstruktion verbaut, auch für die zweite Stammstrecke in München ist das System vorgesehen. Andreas Nagel will aber auch eine weitere Problematik beseitigt sehen: die Personen im Gleis. Dies ließe sich seiner nach Ansicht nach einfach beseitigen, etwa mit Zäunen entlang der Gleise.

Nun sind solche Vorschläge nicht immer umzusetzen, wie ein Bahnsprecher erklärt, weil sie erstens ziemlich teuer wären, zweitens gar nicht realisierbar sind. Eine Stromschiene in der alten Stammstrecke sei nicht vorgesehen, ebenso wenig wie Zäune. Nur in wenigen Ausnahmefällen wie an besonderen Gefahrenstellen oder in der Nähe von Kindertagesstätten würden Bahnstrecken eingezäunt. Außerdem müsse eine Abgrenzung ja auch Öffnungen haben, sodass etwa bei einem Unfall die Zugpassagiere die Stecke verlassen können. Schallschutzwände an Bahnstrecken müssen deshalb immer auch Türen haben.

Alles nicht so einfach, also. Und dass Ballons wie auch Vögel mit einer entsprechend großen Flügelspannweite (Tauben gehören da nicht dazu) in der Oberleitung landen, wird sich auch künftig wohl kaum vermeiden lassen. Metallbeschichtete Luftballons jedenfalls sind in der Röhre schon lange verboten. Neuerdings weisen auch Plakate darauf hin. Dabei ist das Problem alt. Am 1. Dezember 1998 etwa legte ein Werbeballon die Strecke lahm. Er trug, das sei hier nicht verschwiegen, das Logo der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 03.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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