Beflügelt:Gläserne Himmelsboten

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1955 entstand die Pfarrkirche Zu den Heiligen Engeln in der Obergiesinger Weißenseestraße. (Foto: Catherina Hess)

Kunst und Architektur der Pfarrkirche Zu den Heiligen Engeln

Von Julian Raff

In der sakralen Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts haben es die Engel ähnlich schwer, wie in der zeitgenössischen Theologie. Nach modernen Engelsdarstellungen muss man jedenfalls auch in München eine Weile suchen. Noch länger, aber nicht vergeblich, nach einem Gotteshaus, das der Gesamtheit der Himmelsboten geweiht ist.

Die Pfarrkirche Zu den Heiligen Engeln in der Obergiesinger Weißenseestraße entstand 1955, ganz im nüchternen Stil einer Zeit, die dem überlieferten Engelsglauben auf den ersten Blick ebenso fern stand, wie dessen zeitgenössischer, esoterischer Ausprägung. Der stattliche Bau des renommierten Architekten Hansjakob Lill übersetzt die biblischen Engelserzählungen auf eine Weise in Form und Farbe, die den vorweihnachtlich überreizten Sinnen durchaus gut tun kann, egal, wie man es persönlich mit dem (Engels-)Glauben hält. Aus irdischer Warte fallen, neben dem schlanken Campanile, vor allem die mächtigen, aufs Flachdach gesetzten Tonnengewölbe auf. Sie bilden ein nach Osten gerichtetes lateinisches Kreuz, sichtbar allein aus der Engelsperspektive - also von oben.

Direkt auf die himmlischen Patrone der Kirche verweist der Innenraum mit seinen vier großen Glasfenstern. Zeittypisch abstrahiert hat der Glaskünstler Albert Burkart vor 65 Jahren die biblischen Engel in meist blau getöntes Opalglas gebannt und dabei nicht nur sanfte Wesen geschaffen: Pfarrer Monsignore Walter Wenninger, der die Gemeinde von 2000 bis 2018 betreute und sich in seinen Predigten gern vom Kirchenbau inspirieren ließ, deutet das Engels-Patrozinium und seine ästhetische Umsetzung psychologisch, aus der Erfahrung von Krieg und NS-Terror: Bereits im Jahr 1942 hatten Giesinger Katholiken eine illegale Notkirche in einer früheren Zinngießerei an der Simseestraße eingerichtet und den heiligen Engeln gewidmet. In den Fünfzigerjahren mag die Widmung dann "gegen den Strich" angemutet haben, so Wenninger. Sie speiste sich aber wohl immer noch aus einem tief sitzenden Schutzbedürfnis und aus dem Überdruss an Heldenprojektionen, wie sie viele Heiligenlegenden bieten. Andererseits ist da der Erzengel Michael mit dem Schwert. Für Wenninger hier kein Soldat Gottes, sondern ein stetiger Aufruf zum zivilen Ungehorsam, zum "Grenzen setzen", wo herrschende Normen pervertieren. Nicht umsonst findet sich bei der Sakristei eine Gedenkstätte für die Kriegstoten aus dem Viertel, sowie für die Mitglieder der Weißen Rose und alle in Stadelheim ermordeten NS-Opfer, rund 1200 an der Zahl.

Den düsteren Ursprüngen folgte eine Blütezeit mit fünfstelligen Mitgliederzahlen der Gemeinde. Später, in den 2000ern, hätten die Gottesdienstbesucher im großen Kirchensaal dann schon hin und wieder etwas verloren gewirkt, erinnert sich der Geistliche. Einen intimeren Rahmen für Andachten und kleinere liturgische Anlässe bietet seit 1975 die angebaute Werktagskapelle, auch sie ein Beispiel für ansprechende moderne Kirchenarchitektur.

Als Adventskalender erzählt die Stadtviertel-Redaktion Münchner Engels-Geschichten. Am Dienstag: die Engelstraße.

© SZ vom 16.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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