Bayern-Fans in Dortmund:Rote Farbtupfer im schwarz-gelben Exil

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Ein Roter umgeben von Schwarz-Gelben: Die Frauen der Familie, alles BVB-Fans, dulden die Bayern-Leidenschaft von Frank Birkefeld (links). (Foto: dpa)

Wer in Dortmund nicht für die örtliche Borussia schwärmt, der hat es schwer. Trotzdem gibt es in der schwarz-gelben Hochburg zwei rote Farbtupfer: die "Ruhrpottfreunde Minga" und die "Rote Zelle". Gerade jetzt vor dem Champions-League-Finale sind die Fans in einer Ausnahmesituation.

Von Ulrich Hartmann

Im Kleingärtnerverein "An der Asselburg" im Dortmunder Osten ist das ganze Jahr über Schwarz-Gelb geflaggt. Fast jeder dort hat in seiner grünen Parzelle einen Fahnenmast stehen, das ist gewissermaßen Tradition im kolonialen Kleingärtnertum des Ruhrgebiets. Geflaggt wird vornehmlich die Liebe zum örtlichen Fußballklub. Borussia Dortmunds Farben sind Schwarz und Gelb. Die Gartenkolonie erweist sich als besonders nährreicher Boden für die fußballerische Heimatliebe.

Auch Thorsten Vorhölter hat einen Schrebergarten an der Asselburg in Dortmund, aber an seinem Fahnenmast flattert ein rotes Stück Stoff mit dem Wappen des FC Bayern München. Die Fahne fällt nicht nur farblich und optisch aus dem Rahmen, sondern auch gesellschaftlich: Wer in Dortmund nicht für die örtliche Borussia schwärmt, der hat es schwer. Vorhölter, 36, ist ein bisschen entschuldigt. Erstens begeht er nicht die Todsünde, für den blauen Nachbarklub aus Gelsenkirchen zu flaggen (das würde nicht geduldet), und zweitens ist er in München geboren. Früh zogen die Eltern mit ihm nach Dortmund, aber seine Liebe zum FC Bayern ist in Westfalen nie umgekippt zum BVB. Gab es keine Manipulationsversuche im Kindergarten, in der Schule, im Job? "Dortmund-Fan?", sagt Vorhölter entrüstet, "niemals!"

Man darf keine Angst haben, eine Minderheit zu repräsentieren, wenn man in Dortmund nicht nur für den Rivalen FC Bayern München schwärmt, sondern auch noch einen Fanklub gründet. Vorhölter und seine 35 Mitstreiter haben ihren 2008 gegründet und "Ruhrpottfreunde Minga" genannt. Sie wissen sich zwar weltweit in guter Gesellschaft, aber eben nicht vor der eigenen Haustür. Der FC Bayern hat beispielsweise vier Fanklubs in Thailand, vier auf den Philippinen, fünf in Iran, fünf in Libanon und zehn in China. 3312 offiziell anerkannte Fanklubs hat dieser Verein auf der ganzen Welt. Zwei davon in Dortmund.

Auch Frank Birkefeld, 43, ist als Roter umgeben von Schwarz-Gelben, in der Stadt ebenso wie in der Familie. Seine Frau ist BVB-Fan, genau wie die Tochter und die Mutter. Der Vater ist Schalker, aber das ist innerfamiliär ein Thema für sich. Birkefeld ist in Kamen bei Dortmund geboren und aufgewachsen, trotzdem hat er frühzeitig mit dem FC Bayern München sympathisiert. Das liegt daran, dass in der ARD-Sportschau der Siebziger Jahre jeden Samstag bloß drei Spiele gezeigt wurden und der FC Bayern da fast immer dabei war.

Karl-Heinz Rummenigge und Paul Breitner waren Birkefelds Helden. Die Zuneigung zu dem Klub, der immerhin 600 Kilometer entfernt beheimatet ist, hielt sich hartnäckig und wurde auch nicht durch Borussia Dortmund abgelöst, seit die Birkefelds nur noch einen Kilometer vom BVB-Stadion entfernt wohnen und natürlich gelegentlich hingehen. Im Gegenteil. Nach der Münchener Niederlage im Champions-League-Finale 2012 gegen den FC Chelsea trafen Birkefeld und seine Dortmunder Bayern-Mitstreiter die Entscheidung, im westfälischen Exil einen FC-Bayern-Fanklub zu gründen. "Jetzt erst recht", hatten sie sich in der Enttäuschung über die Niederlage gesagt und hätten den Fanklub auch beinahe so genannt. Aber dann gefiel ihnen "Rote Zelle" besser, weil sie nur 29 Mitglieder sind und eine kleine von Schwarz-Gelb umgebene rote Einheit.

Unangenehme Erfahrungen als Minderheit im fremden Hoheitsgebiet haben sie noch keine gemacht, betont Birkefeld, aber das dürfte auch daran liegen, dass sie selbst ziemlich "gemäßigt" sind, wie er es formuliert: "Alle etwas älter und Familienväter, also eher zurückhaltend." Keine extrovertierten Krawallmacher und Provokateure, sondern stille Vertreter, die sich an den Frotzeleien von Nachbarn und Kollegen sogar erfreuen können.

Birkefeld besitzt nicht allzu viele FC-Bayern-Devotionalien: eine schwarze Trainingsjacke sowie zwei rote Trikots, ein neues und ein altes. Von den beiden Hemden will er das alte anziehen am Samstagabend, denn das hatte er auch am 23. Mai 2001 an, als die Bayern gegen den FC Valencia die Champions League gewannen. Auch Thorsten Vorhölter, im Stadtteil Aplerbeck zu Hause, fühlt sich in seinem FC-Bayern-Trikot in Dortmund überhaupt nicht unwohl. Klar, gefrotzelt wird schon, man muss sich da einiges anhören, aber bedrohlich ist es nie geworden. "Keine Hassbriefe, nicht eine Anfeindung", versichert Vorhölter, "alles ganz entspannt."

Doch nun naht ein historisches Wochenende, und den Fanklub-Vorsitzenden Birkefeld und Vorhölter schlägt droben im Ruhrpott der Puls höher. Während Vorhölter das Finale beinahe zurückgezogen im Familienkreis daheim im Aplerbecker Wohnzimmer schauen will, zieht es Birkefeld nach München, zu den Menschen, die ihn verstehen. Die Zugfahrt dorthin ist noch nicht endgültig beschlossen, Birkefeld schwankt, er ist unruhig wie ein Tiger im Käfig, will sich ganz kurzfristig entscheiden.

Vorhölter hingegen bleibt daheim in der Höhle des Löwen, hat aber weniger Furcht vor einem Bayern-Sieg mit anschließender Feindseligkeit der Dortmunder Nachbarn als vor einer Niederlage. Denn während Birkefeld daran erinnert, dass der FC Bayern in den vergangenen drei Jahren ja schon zwei Champions-League-Final-Niederlagen gegen Mailand und Chelsea erlitten hat, führt Vorhölter als erstes die 2:5-Niederlage der Bayern gegen Dortmund im letztjährigen Pokal-Finale an. "Wenn wir jetzt auch noch das Champions-League-Endspiel gegen Dortmund verlieren", sagt er, "dann zieh' ich weg aus Dortmund, um mir das Gespött zu ersparen."

Er meint das natürlich nicht ernst. Thorsten Vorhölter würde ja nicht mal die Bayern-Fahne im Schrebergarten abnehmen. Auf Halbmast setzen vielleicht. Höchstens.

© SZ vom 24.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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