Bauarbeiten:Es fährt ein Bus nach irgendwo

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An der Münchner Freiheit endet für die nächsten Monate die U 3. Wer in Richtung Scheidplatz will, der muss hier in den Bus umsteigen. (Foto: Stephan Rumpf)

Unterwegs mit dem Schienenersatzverkehr auf der Linie U 3: Die Passagiere suchen noch nach der Orientierung

Von Christina Hertel

Im Bus zum Scheidplatz ist noch ein Platz frei, neben Irene Trinkl. Graue Haare, Handtasche auf dem Schoß. Zweimal in der Woche fährt sie vom Olympiazentrum zur Münchner Freiheit - dort kümmert sie sich um eine Bekannte. Eigentlich sei heute alles gut gelaufen, meint sie. Seit Montag fahren auf dieser Strecke Ersatzbusse statt der U-Bahn - ein halbes Jahr lang. Große, gelbe Fußabdrücke kleben auf dem Boden, sie weisen den Weg zum Schienenersatzverkehr. Zur Sicherheit stehen da noch zwei, drei MVG-Mitarbeiter in orangenen Warnwesten.

"Ich finde eher, dass es allerhöchste Zeit wird, dass die mal die U-Bahn in Stand setzen", sagt Irene Trinkl. Tatsächlich gehört der Abschnitt zu den ältesten im ganzen Münchner U-Bahn-Netz. Die Strecke wurde für die Olympischen Spiele 1972 errichtet. "Dreimal habe ich es seitdem schon erlebt, dass es an der Münchner Freiheit gebrannt hat", sagt die Rentnerin. So langsam hätte sie sich in der U-Bahn gar nicht mehr sicher gefühlt. "Es musste jetzt halt sein." Es klingt bestimmt, aber dann schaut Trinkl doch auf ihre Uhr. Feierabendverkehr. Meter für Meter rollt der Bus durch Schwabing. Es ist warm, riecht ein bisschen nach Bier. In der Olympiahalle ist später noch ein Metal-Konzert.

Scheidplatz, Endstation. Als wäre es schon immer so gewesen, laufen die Leute hinunter zur U-Bahn. Irene Trinkl ist zwischen schwarzen Mänteln verschwunden. Aus dem Bus steigt auch Kristina Lenk. Sie kommt aus Plattling in Niederbayern und hat einen Ausflug zum Ammersee gemacht. Jetzt irrt sie aber schon seit einer gefühlten Ewigkeit durch München. Die S-Bahn fiel aus - Notarzteinsatz. Am Hauptbahnhof: Baustelle. Ihr Zug fährt deswegen von Moosach. Weil aber keine S-Bahnen mehr fuhren, musste sie vom Bahnhof zum Marienplatz laufen, dann in die U-Bahn, in den Bus und jetzt wieder in die U-Bahn und dann hoffentlich irgendwann in ihren Zug nach Hause. "Chaotisch. Wirklich sehr chaotisch", sagt sie.

Im Zwischengeschoss steht Yasmin Ayadi, braune Locken, gelbe Warnweste. Die Studentin verteilt Fahrpläne, seit sechs Uhr morgens schon, die ganze Woche lang. Hinter ihr liegen stapelweise leere Pappkartons. Sie hat erlebt, dass viele gereizt waren, weil sie sich nicht auskannten. "Manche wussten einfach gar nicht Bescheid." Am Bahnsteig, wo sonst die Züge Richtung Moosach fahren, hängt jetzt ein rot-weißes Absperrband. Manche hätten es nicht gleich gesehen und seien trotzdem die Treppe zum Bahnsteig runter, erzählt Ayadi. "Vielleicht hätte man ein etwas größeres Schild hinhängen können." Unhöflich seien aber nur die allerwenigsten geworden.

Wie schaut es auf dem Rückweg aus? Es ist kurz nach 19 Uhr und der Bus zurück zur Münchner Freiheit ist höchstens halb voll. "Eigentlich kann ich mich gar nicht beschweren", sagt ein junger Mann. "Katastrophe", sagt ein anderer Fahrgast. Pause. "In Stuttgart wäre so etwas nicht passiert." Jürgen Karl kommt aus Ebingen, Baden-Württemberg, und das hört man auch. Seit den Siebzigerjahren wohnt er draußen im Olympiadorf. Ihn stört, dass die Baustelle so lange dauert und dass der Bus an der Münchner Freiheit direkt am Radweg hält. "Das ist wirklich alles sehr schwach. München sollte sich etwas mehr am Ländle orientieren." Haltestelle Bonner Platz. Karl steht auf.

Noch ein paar Minuten fährt der Bus weiter bis zur Haltestelle an der Münchner Freiheit. Draußen ist es dunkel, die Leute steigen aus, keiner schaut nach links oder rechts. Jeder steht dem anderen im Weg. Nichts wie weiter. Die Treppe runter, am Akkordeonspieler vorbei, am Drogeriemarkt auch. In die U-Bahn und endlich nach Hause.

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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