Bankgeheimnis:Oase der Unwichtigkeit

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Schauspieler Jakob Tögel mag den Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz im Glockenbachviertel - er erinnert ihn an ein österreichisches Dorf

Von Philipp Crone, München

"Hier fühlt es sich nicht so wichtig an", sagt Jakob Tögel. So wie an anderen Stellen im Glockenbachviertel in der Isarvorstadt. Tögel, 28, sitzt im Schatten unter dem zentralen Baum am Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz am Westermühlbach und schaut rüber zu den Kindern. Hitze auf dem Kopfsteinpflaster in der Sonne, ermattetes Kinderlärmen auf dem Spielplatz gegenüber, der Bolzplatz verwaist, die Straßen auch, unter dem Baum neben dem Maibaum ist Schatten, Ruhe - und angenehme Unwichtigkeit.

Jakob Tögel hat vier Jahre gleich ums Eck gewohnt. Er sitzt noch immer gerne auf der Bank unterm Baum, weil München hier noch bescheiden ist. (Foto: Florian Peljak)

Tögel ist ein Beobachter, schon allein von Beruf. Der Mann mit dem grauen Muskelshirt und dem Skateboard neben sich schaut sich um, dass die kurzen Locken wippen. Tögel, aus Zistersdorf in Niederösterreich, saugt sich gerade wieder voll mit München-Eindrücken. Für seine Ausbildung als Schauspieler war er vier Jahre an der Isar, bis 2017, an der August-Everding-Akademie. "Und ohne den befreundeten Regisseur, der mit seiner Familie hier am Eck wohnt und bei dem ich gleich die beiden Kinder hüte, hätte ich die Prüfung wohl kaum geschafft." Er wurde genommen, später auch als einer von nur wenigen Absolventen am Theater in Bremerhaven, wo er derzeit lebt und spielt.

Özlem Kilinç betreut Kinder und Jugendliche in der Villa Kunterbunt am Platz. (Foto: Philipp Crone)

Tögel schaut auf den Platz. Es ist 15.30 Uhr, vereinzelt rollen Fahrräder vorbei, mal mit Kindern hintendrauf, mal ohne, sehr langsam alles, Hundebesitzer biegen am Bolzplatz ein, um den Schattenweg am Westermühlbach entlangzulaufen. Tögel hat noch ein bisschen Zeit. Als Teenager hatte er schon zur Schulzeit eine duale Sozialpädagogik-Ausbildung absolviert, arbeitete nach der Schule dann in Wien als Behindertenbetreuer, "bis ich irgendwann nicht mehr so recht wollte, was Gift ist in diesem Beruf". Tögel hatte schon immer Theater gespielt, "ich war ein Schauspieler-sein-Wollender", und machte sich auf. Dank der Vorbereitung mit dem Regisseur am Platz schaffte er es 2013 an die Akademie in München, lebte hier, zog drei Mal um, beobachtete die Stadt. "Ich fühle mich immer sehr wohl hier." Es zieht ihn auch wieder hierher. 2017 war er "einer von tausend bis zweitausend Absolventen", die jährlich von den etwa einhundert Schauspielschulen ausgebildet werden. "Die treffen auf etwa 50 bis 100 Vakanzen."

Tögel wartet, er war vorher noch in einem Secondhandladen um die Ecke. "Ich suche in München noch immer nach bezahlbaren Secondhandgeschäften." Und wenn er in einem drin war, ist das Vorgehen immer gleich. "Eine halbe Stunde auf eine Bank setzen und warten. Meistens merke ich dann, dass ich eigentlich gar keine neuen Klamotten brauche."

Nicht so wichtig, nicht so überlaufen, der Ulrichs-Platz am Glockenbach "ist mir ähnlich sympathisch wie das Franzosenviertel in Haidhausen". Es gibt wohl kaum gentrifiziertere Stellen in der Stadt als das Glockenbach, die Bio-Boutique Schmatz, das Kinderschuhgeschäft und der Stylo-Bike-Laden liegen für Tögel in Skateboard-Wurfweite. Aber der kleine runde Platz und sein Schattensitz liegt etwas abseits, kein SUV im Blick, kein Wohin-mit-meinem-Geld-Geschäft zu nah, er erinnert beinahe an einen kleinen Dorfplatz in Niederösterreich. "Oase der Unwichtigkeit", eine passende Beschreibung des Schauspielers.

Dort sitzt jetzt auch Özlem Kilinç, wie jeden Tag macht sie eine kurze Pause. Die 45-jährige pädagogische Fachkraft betreut Kinder nach der Schule im KuBu, der Einrichtung Kunterbunt der Caritas. Der Jugendtreff liegt neben dem Platz und einem kleinen Bolzplatz, Kilinç schnauft mit einer Tasse Kaffee immer mal auf einer Bank kurz durch. "Stammbesucher gibt es kaum hier, nur die Müllmänner machen immer hier ihre Pause." Sie schaut rüber auf den Spielplatz. "Der ist auch deshalb so beliebt, weil er eine Wasserpumpe hat. Das ist noch immer selten in München." Sand und Wasser, die ideale Vergnügungsmischung wie am Strand. Täglich von 11 Uhr an ist Kilinç da, wenn die ersten Grundschüler kommen, nachmittags kommen die Jugendlichen, bis um 19 Uhr. Dann hocken ab und zu ältere Männer unter der Kastanie des Ulrichs-Platzes, erzählt Kilinç. An diesem Tag sitzt da aber nur der jüngere Mann mit dem Skateboard.

Hinter Schauspieler Tögel steht der rosa Maibaum, dem neulich einige Schilder geklaut wurden, ein paar quengelnde Kinder werden aus der Einrichtung Kubu abgeholt. Kurz vor vier, Tögel wirft sein Board auf den Boden, er muss los. Am Sonntag muss er auch erst einmal zurück nach Bremerhaven, Proben, seine Hauptrolle im Unterhaltungsstück "Blues Brothers" oder in "Tod eines Handlungsreisenden". Der Babysitter-Reisende verlässt die Ulrichs-Platz-Bühne, die dicke Hitzedecke legt sich wieder fest über Bänke und Bäume.

© SZ vom 23.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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