Auszeichnung:Die Zuhörerin

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Es tut den Schülern gut, wenn sich jemand bewusst Zeit nimmt, im Einzelgespräch und in einem geschützten Rahmen, sagt Sibel Kavuk-Wegner. (Foto: Catherina Hess)

Sibel Kavuk-Wegner hat den Friedensstifterpreis erhalten

Von Kai Blum, München

Selbst in dem Moment, in dem sie im Mittelpunkt steht, denkt sie an die anderen. Als Sibel Kavuk-Wegner vor 200 geladenen Gästen für ihre Arbeit als Schulpsychologin geehrt wird, bedankt sie sich bei ihren Kollegen der Erich-Kästner-Realschule und bei all den Menschen, die sich in den großen und kleinen Fragen für Frieden und gegen Konflikte einsetzen. Sibel Kavuk-Wegner scheut das Rampenlicht nicht, ist aber viel lieber Teil einer Gemeinschaft. "Der Preis ist eine Motivation dafür, dass wir alle weiter so friedensstiftend arbeiten können", sagt sie und beendet damit ihre Dankesrede für den Friedensstifterpreis der Mediationszentrale München.

Kavuk-Wegner reagierte vor drei Jahren besonders sensibel und fürsorglich, als sich unter den Opfern des Attentats am Olympia-Einkaufszentrum auch Schüler der Erich-Kästner-Realschule befanden. Sie und ihre Kollegen öffneten die Schule, um einen Ort zu erschaffen, an dem die Schulgemeinschaft Wut, Trauer und Schmerz gemeinsam verarbeiten konnte. In einer für sie selbst schwierigen Situation war Kavuk-Wegner für Schüler, Familien und Kollegen da und half ihnen in der Nachsorge des für alle Beteiligten traumatischen Erlebnisses. Auch deswegen ist die Schulpsychologin mit dem Preis ausgezeichnet worden.

Das Büro von Sibel Kavuk-Wegner im zweiten Stock der Realschule im Hasenbergl ist aufgeräumt. In der Mitte des Raumes steht ein kleiner runder Tisch, an dem sie viele Gespräche mit Schülern, Eltern und Lehrerkollegen führt. An den Wänden hängen Plakate über Toleranz und Respekt, von ihrem Fenster aus kann sie den Pausenhof und die kleine Sportanlage sehen. Ihr Büro befindet sich am Ende eines langen Ganges. "Es ist auch gut so, dass nicht jeder mitbekommt, wer zu mir kommt", sagt Kavuk-Wegner.

Kommunikation und Toleranz seien ihr besonders wichtig, dies seien zwei Fähigkeiten, "die im engen Zusammenhang miteinander stehen". Sibel Kavuk-Wegner hat ihr Studium an der Ludwigs-Maximilian-Universität absolviert. Geprägt wurde sie von ihren Lehrern während ihrer Schulzeit am Willi-Graf-Gymnasium am Luitpoldpark: "Meine Lehrer haben damals sehr viel Wert auf Frieden, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit gelegt." Und schon in ihrer Schulzeit reifte bei ihr der Gedanke, diesen Beruf selbst auszuüben: "Nach meinem Abitur habe ich nach einer geeigneten Fächerkombination gesucht und bin so über die Schulpsychologie gestolpert." Neben der Schulpsychologie lehrt sie noch Mathematik, da man im Freistaat Bayern nach Abschluss des Studiums nicht rein als Schulpsychologin, sondern auch als Lehrerin tätig ist. Sie sagt: "Die Hemmschwelle ist geringer, wenn die Kinder mich schon aus dem Unterricht kennen. Es kommen aber auch Schüler, die ich noch nie im Unterricht hatte."

Ihre Arbeit als Schulpsychologin funktioniere vor allem über den kollegialen Austausch. Den Kollegen falle oft auf, wenn ihre Schüler über eine längere Zeit abwesend oder unglücklich seien. Die Schule im Hasenbergl hat im Laufe der Jahre ein Beratungsteam aus mehreren Fachkräften aufgebaut: Jugendsozialarbeiterinnen, Inklusions- und Sozialcoaches, eine Logopädin und eine Sonderpädagogin. "Wenn meine Kolleginnen und Kollegen mir die Fälle nicht so zuarbeiten würden, würde es nicht funktionieren. Es ist wirklich ein tolles Zusammenspiel, das wir haben", sagt Kavuk-Wegner.

In ihren Gesprächen mit den Kindern setzt sie auf Wertschätzung und Vertrauen: "Ganz wichtig ist erst einmal zuhören. Es tut den Schülern sehr gut, wenn sich überhaupt jemand bewusst Zeit nimmt, im Einzelgespräch und in einem geschützten Rahmen." Als Schulpsychologin ist sie der Schweigepflicht verpflichtet. Die Gespräche bleiben vertraulich, es sei denn, die Schüler möchten, dass Kavuk-Wegner vermittelt. Es gebe aber auch Situationen, in denen sie ihren Schülern selbst zur aktiven Kommunikation rate, da sich deren Probleme ohne diese nicht lösen würden. Kavuk-Wegner hört zu, berät und vermittelt - nicht nur zwischen Schülern, sondern auch zwischen Schülern und Lehrern oder Eltern. "Der Gerechtigkeitssinn ist bei mir schon ziemlich ausgeprägt", sagt sie. Das sei auch schon in ihrer Jugend so gewesen: "Zivilcourage und ein rücksichtsvolles Miteinander sind mir extrem wichtig - ich kann da nicht weggucken."

Die Schule hat ein Elterncafé und andere Initiativen gestartet, um alle Schüler, Eltern und Lehrer in einer lockeren Atmosphäre an einen Tisch zu bekommen und Kommunikation zu fördern. "Das Angebot wird sehr gut angenommen", sagt sie, "wir leben von der Wertschätzung der Schülerinnen und Schüler und auch von den Eltern." Im Hasenbergl kommen verschiedenste kulturelle Hintergründe und Vorgeschichten zusammen, Kavuk-Wegner hat selbst türkische Wurzeln. In manchen Elterngesprächen biete sie deshalb an, die Unterhaltung auf Türkisch zu führen. In solchen Situationen merke man, dass die Anspannung auf Seiten der Eltern abfalle und man sich anschließend auf einer anderen Ebene befinde. "Ich erinnere mich an einen Fall, da hat mich eine Mutter umarmt und hatte Tränen in den Augen, da ich mich unterstützend für die Schülerin eingesetzt habe und sie jetzt ihren Abschluss gemacht hat." Die Eltern der Schüler stammen teilweise aus Kriegsgebieten und sind vor Krieg und Verfolgung geflüchtet. "Ich sage meinen Schülern oft: Was ihr gemeinsam habt, ist, dass ihr alle Münchner seid."

"Der Frieden kann nur dann beginnen, wenn man selbst den inneren Frieden hat, mit sich selbst in Einklang ist." Diesen Satz sagte Diplompsychologe Jens Corssen bei der Verleihung des Friedensstifterpreises. Sibel Kavuk-Wegner will diese Botschaft an ihre Schüler weitergeben: "Nur dann ist man auch offen für andere Meinungen und kann in Dialog mit anderen treten", sagt sie. Und wird damit zum Teil einer Gemeinschaft.

© SZ vom 03.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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