Atelier:Die Bilder seines Lebens

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Lange hat Monika Kapoor gezögert, doch nun löst sie das Atelier ihres verstorbenen Vaters auf, des Malers Alexander Maria Indrak

Von Jutta Czeguhn

Monika Kapoor denkt lange nach, ehe sie antwortet, so als hinge sie einer fernen Erinnerung nach. Ob ihr Vater als zufriedener Mensch gestorben sei? Eine gute Frage, aber "zufrieden" sei wohl nicht das richtige Wort, sagt sie schließlich. Und dann zitiert sie den Vater: "Ich will beerdigt werden, damit die Würmer etwas zu fressen haben." Alexander Maria Indrak, Künstlername "Kardin", ist 1994 in München gestorben. Da hatte man den Kunst- und Kulissenmaler schon beinahe vergessen. Erst jetzt, über zwanzig Jahre später, ist die Tochter dabei, sein Atelier aufzulösen und alles zu verkaufen, Ölgemälde, Aquarelle, Skizzenbücher - alles.

Umfangreicher Nachlass: In seinem Atelier an der Wittelsbacherstraße hat Alexander Indrak bis ins hohe Altergemalt, oft Auftragsarbeiten. (Foto: Robert Haas)

Dieses Atelier befindet sich seit 1960 im Eckzimmer mit Erker in einer Wohnung in der Wittelsbacherstraße, in der Monika Kapoor heute noch lebt und wo früher viele Ausstellungen stattfanden. Doch nicht dort, im Raum mit den hohen Wänden und den Flügeltüren, bietet sie die Kunst des Vaters an. Für ein paar Wochen kann sie einen kleinen, leer stehenden Laden an der Humboldtstraße 5 nutzen, in dem früher Outdoor-Ausrüstung für Hunde verkauft wurde. Jetzt lehnen dort in den Regalen und an den Wänden statt Hunderucksäcken die Bilder von Alexander Indrak.

In seinem Atelier an der Wittelsbacherstraße hat Alexander Indrak bis ins hohe Alter gemalt, oft Auftragsarbeiten, etwa die Ansichten italienischer Häfen. (Foto: Monika Kapoor)

"Gott sei Dank hat er nie gesagt, was ich mit all dem machen soll", sagt Monika Kapoor. Lange hatte sie mit sich gerungen, das Werk wegzugeben. Immer wieder Anläufe unternommen. Dann war sie am Grab des Vaters gewesen, wie sie es immer tut, bevor sie eine wichtige Entscheidung trifft. "Ich hab' ihm gesagt, dass es für mich wichtig wäre, wenn ich alles los wäre." Alexander Maria Indrak scheint sie verstanden zu haben. Doch dazu später.

Es fällt schwer zu glauben, dass es sich bei den Bildern im Laden um die Arbeiten nur eines einzigen Künstlers handelt. Indrak hatte, wenn man das überhaupt sagen kann, seine große Zeit in den Sechziger- und Siebzigerjahren, als er für den Kunsthandel oder für Galerien malte. Es waren Auftragsarbeiten, bestellt wurde, was dem Zeitgeschmack entsprach und verkäuflich war. Der Künstler arbeitete sich, so scheint es, mit einem Pflichternst am Stilpluralismus der klassischen Moderne ab, mit einem absoluten Bekenntnis zur Gegenständlichkeit. In Stadtansichten von Paris oder Isar-Landschaften grüßen aus der Ferne die Spätimpressionisten, seine Akte erinnern an die gedrungenen Frauenfiguren eines Picassos, die expressiven Porträts tragen die Handschrift Kokoschkas, die Zirkus- und Halbwelt-Szenerien sind wie von Ernst Ludwig Kirchner geborgt. Dabei weisen die vielen Skizzenbuchblätter Indrak als einen enorm genauen Beobachter aus, der mit Akribie überall "notierte", was er sah. Ein souveräner Handwerker war er, der seine persönliche Bildsprache offensichtlich sehr gut verbergen oder zumindest hintanstellen konnte.

Wie sich der Maler Alexander Indrak selbst sah, zeigt das Porträt. (Foto: Monika Kapoor)

Alexander Maria Indrak, Jahrgang 1917, stammte ursprünglich aus Wien. Als jungen Mann zog es ihn nach Berlin, wo er Mitte der Dreißigerjahre eine Ausbildung in kunstgewerblichem Zeichnen begann. Er entwarf unter anderem Tapeten, doch studierte er nebenbei auch noch an der Kunstakademie. Über Eva Schmuckler, seine spätere Frau, bekommt er Kontakt zum Film und wird Kulissenmaler. 1945, dem Jahr, in dem Tochter Monika geboren wird, siedelt die Familie um nach Grünwald, wo Indrak für die Bavaria malt. Monika wächst als Einzel- und Schlüsselkind auf, denn auch die Mutter arbeitet. Doch das Geld ist immer knapp. "Bist Du Gottes Kind, so hilf Dir selbst", sei das Credo ihres Vaters gewesen, erinnert sich Monika Kapoor. Sie sei nie verwöhnt worden. "Als Kind habe ich gelernt, wie man mit wenigem über die Runden kommt, dafür bin ich heute noch dankbar."

Vieles in den Bildern ihres Vaters erinnert Monika Kapoor an ihre Kindheit in Grünwald. Oft war sie dabei, wenn Alexander Indrak in den Isarauen malte. (Foto: Robert Haas)

Oft ist sie mit dem Vater an der Isar entlanggestreift. Indrak war ein Pleinair-Maler, der mit einem kleinen Tisch und Aquarellfarben loszog. "Viele seiner Bilder sind mit Isarwasser gemalt, das er sich mit einer Trinkflasche aus dem Fluss holte", erzählt Kapoor. Kolportiert wird, dass er sogar mit Schnupftabak schattierte. An der Isar sind auch viele der Aktskizzen entstanden, bei denen ihm nicht nur Eva Indrak Modell saß. Ihre Eltern seien Freidenker gewesen, sagt die Tochter Monika, die sich auch daran erinnert, wie in der Wohnung in Grünwald Leute aus der Filmszene ein- und ausgingen. Bavaria-Standfotograf Wolfgang Brünjes etwa sei ein Freund des Vaters gewesen. Indrak entwarf Kulissen für Filme wie "Heiße Ernte" (1956) oder "Auferstehung" (1958) mit Horst Buchholz. Später wird es Kapoor gelingen, all seine Skizzen, Notizen und Fotografien aus dieser Bavaria-Zeit dem Filmmuseum Potsdam zu geben.

Der Enge der Wirtschaftswunderzeit entflieht Monika Kapoor, sie geht als Au-pair nach London und lernt dort zum ersten Mal ein normales Familienleben kennen. Daheim ziehen die Eltern Anfang der Sechzigerjahre von Grünwald nach München in die Wohnung an der Wittelsbacherstraße. Indrak hat sich aus dem Filmgeschäft zurückgezogen und lebt nun als freischaffender Kunstmaler von Auftragsarbeiten. In den folgenden Jahren entstehen viele seiner München-Porträts: Ölgemälde, Aquarelle vom Viktualienmarkt, vom Hofgarten oder vom Oktoberfest - und immer wieder von den Isarbrücken.

Tochter Monika kehrt nach Deutschland zurück, lebt nun ebenfalls in München. Sie arbeitet in der Kinderbetreuung, später, in den Siebzigerjahren, betreibt sie gemeinsam mit ihrem indischen Mann ein Geschäft, das ebenso scheitern wird wie die Ehe. Der Vater malt auch mit über siebzig noch für den Kunsthandel, auch wenn die Aufträge seltener werden. Seine Rente ist niedrig, er lebt von den Zinsen. Nach dem Tod der Mutter zieht Monika Kapoor zum Vater in die Wohnung, der sich eines Tages "Sir Alexander" nennt. Die beiden haben ihre Rituale, das gemeinsame Frühstück, bei dem sie Horoskope oder in einem buddhistischen Kalender lesen. "Ich musste sehr achtgeben, dass ich nicht Mitleid empfinde mit dem alten Mann", sagt Kapoor. Warum, weil er haderte mit seinem Lebenswerk? Weil ein Professor über die Kunst des Vaters urteilte, er hätte nie seinen eigenen Stil gefunden?

Heute, da die Tochter sich vom Werk ihres Vater trennt, sieht sie ihn und seine Kunst anders, neu. "Ich bin erstaunt, wie viel Tiefe diese Bilder haben." Und woher er das Können nahm. Der Vater habe Intuition gehabt, habe hinschauen können und letztlich gewusst, was er wollte. "Bei mir zerrinnt immer alles", sagt sie. Und ihr kommt noch einmal der Besuch am Grab in den Sinn, als sie den Vater bat, seine Werke nun endlich loslassen zu dürfen. Kurz darauf sei ein junger Mann in den ehemaligen Hundeladen an der Humboldtstraße gekommen. Unbedingt wollte er das Gemälde mit Isarbrücke und der Lukaskirche im Schaufenster kaufen. Man kam ins Plaudern und auf Grünwald und das Filmgeschäft zu sprechen. "Er hat mir dann erzählt, dass er Regisseur sei und dass ihn das Bild an die Schlussszene seines letzten Films erinnere", sagt Monika Kapoor. "Welcher Film?", wollte sie dann wissen - "Willkommen bei den Hartmanns".

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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