Arbeitsgericht:Indizien für versuchten Mord rechtfertigen keine Kündigung

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  • Eine 34-jährige Hebamme hat gegen das Klinikum Großhadern geklagt, weil ihr gekündigt wurde.
  • Grund für die Kündigung war der Verdacht, dass die Frau Hochschwangere möglicherweise absichtlich in Lebensgefahr gebracht hat.
  • Obwohl die Hebamme deshalb in Untersuchungshaft sitzt, hätte die Klinik sie nicht entlassen dürfen, so das Arbeitsgericht.

Von Christian Rost

Eine Hebamme steht im Verdacht, Hochschwangere absichtlich in Lebensgefahr gebracht zu haben, und die Klinik, für die sie arbeitete, darf sie dennoch nicht kündigen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts im Fall der 34-jährige Regina K., die sich wegen siebenfachen Mordversuchs verantworten muss, wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich. Das Arbeitsrecht hat aber im Wortsinn seine eigenen Gesetze.

Das Klinikum Großhadern erstattete Anzeige gegen Unbekannt, nachdem bei vier Kaiserschnitt-Entbindungen die Patientinnen erhebliche Mengen an Blut verloren hatten. Wie sich herausstellte, war den Frauen heimlich der Blutgerinnungshemmer Heparin verabreicht worden. Ähnliche Vorfälle gab es auch in einer Klinik im hessischen Bad Soden. Da die beschuldigte Hebamme in beiden Krankenhäusern tätig war, als es zu den Komplikationen kam, richtete sich der Verdacht gegen sie. Im Juli 2014 wurde sie festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft.

Prozess
:Hebamme unter Verdacht auf Mordversuch: Gericht sieht keinen Grund für Kündigung

Sie soll Gebärenden im Klinikum Großhadern Blutgerinnungshemmer gegeben haben. Nun erhält die Hebamme eine Gehaltsnachzahlung.

Von Christian Rost

Im August 2014 kündigte ihr die Klinik fristlos. Dagegen klagte Regina K. und bekam am Mittwoch vom Arbeitsgericht München recht: "Die vom Arbeitgeber vorgetragenen Umstände reichen nicht aus, um einen dringenden Tatverdacht anzunehmen", so das Gericht. Obwohl also die Frau bereits in Untersuchungshaft saß, durfte ihr die Klinik nicht kündigen.

"Juristisch knifflig"

Der Münchner Arbeitsrechtsexperte und Anwalt Ernst Tandler weiß nur zu gut, dass sogenannte Verdachtskündigungen, wie in diesem Fall ausgesprochen, "juristisch knifflig" sind. Man müsse bedenken, dass jemand durch eine solche Kündigung sein Arbeitsverhältnis verliere, obwohl die Tat noch nicht nachgewiesen sei. Außerdem könne sich der Arbeitgeber im Arbeitsgerichtsprozess nicht einfach auf die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft stützen, also auf Dritte verweisen, sondern müsse eigene Beweise vorlegen, so Tandler.

Und auch das ist nicht so einfach: Nur ein Indiz genüge nicht, vielmehr müsse der Arbeitgeber eine schlüssige Indizienkette vorlegen. Im Fall der Hebamme hätte die Klinik eventuell mit Dienstplänen und Laborergebnissen nachweisen können, dass der Verdacht gegen die Mitarbeiterin schwer wiegt. "Der Verdacht muss mit Tatsachen belegt werden", sagt Tandler. Aus Sicht des Arbeitsgerichts hat die Klinik das aber nur "unzureichend" getan.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass der Arbeitnehmer vor der Kündigung gehört wird - selbst wenn sich diese Person in Untersuchungshaft befindet. In diesem Fall müsse sich der Arbeitgeber um eine Besuchserlaubnis bei der Gefängnisleitung bemühen, sagt Tandler.

Was immer das Klinikum Großhadern auch unternommen hat: Aus Sicht des Arbeitsgerichts reichte das nicht aus für eine wirksame Kündigung. Das Urteil ändert aber nichts daran, dass das Arbeitsverhältnis mittlerweile dennoch beendet ist: Der Vertrag von Regina K. war bis April 2015 befristet.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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