Anliegerverkehr:Ein bisschen Grau muss sein

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Bei neuen Tunneln am Mittleren Ring können die Planer nicht auf Straßen an der Oberfläche verzichten - mit einer Ausnahme

Von Marco Völklein, München

Für Tunnel-Fans wie Michael Haberland ist der Petueltunnel das Vorzeigeprojekt. Immer wenn es darum geht, für weitere Straßentunnel zu werben, zum Beispiel an der Tegernseer Landstraße oder an der Landshuter Allee, dann kramt nicht nur der Chef des Autofahrerklubs "Mobil in Deutschland" das Beispiel Petuelpark hervor. Einer der "schönsten Parks" sei dort entstanden, sagt Haberland. Von einer "grünen Oase" spricht auch der Zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU), ebenfalls ein Freund neuer Autoröhren. Wie ein Mantra wiederholt Schmid bei fast jeder Debatte seine verkehrspolitische Vision: Die Autos sollen möglichst im Untergrund verschwinden, damit oben neuer Raum entsteht. Für Fußgänger und Flaneure, für Skateboarder und Radfahrer. So wie im Petuelpark im Münchner Norden.

Gleichwohl wissen die Tunnel-Fans im Rathaus genau, dass das Vorzeigeprojekt Petuelpark an anderen Stellen des Mittleren Rings nur bedingt als Vorbild taugt. Schon beim Richard-Strauss-Tunnel zeigte sich, dass sich zwar der Großteil des Verkehrs mit der Betonröhre unter die Erde bringen lässt; um aber das Abbiegen in die angrenzenden Wohngebiete weiter zu ermöglichen, sind Straßen an der Oberfläche notwendig. Genauso wird es am Luise-Kiesselbach-Platz und in der Garmischer Straße sein: Wenn dort der Tunnel wie geplant Ende Juli in Betrieb gehen wird, werden an der Oberfläche weiter Autos fahren. Zwar deutlich weniger als heute, aber ohne Straßen geht es nicht. Wer etwa von der Brudermühlbrücke kommend auf die Garmischer Autobahn will, wird zwar auf Höhe der Passauerstraße zunächst in den 570 Meter langen Teiltunnel eintauchen und auch noch im tiefergelegten Trog durch die Heckenstallerstraße rauschen, dann aber kurz vor dem Luise-Kiesselbach-Platz über eine Rampe nach oben und an der Oberfläche über den Platz zur A 95 fahren. Ganz in den Untergrund hätten die Ingenieure die Autos nur verbannen können, wenn sie unterirdisch ein weiteres Tiefgeschoss angestückelt hätten - an das jetzt schon zweistöckige Bauwerk. Das allerdings wäre technisch enorm kompliziert und teuer gewesen. So verbleiben künftig an dem Platz 40 000 Autos täglich an der Oberfläche. Heute sind es etwa 120 000.

Ganz ohne Autos, so wie im Petuelpark, wird nur das Teilstück über der Heckenstallerstraße auskommen. Dort entsteht der "Heckenstallerpark" - ein 570 Meter langer und 40 bis 70 Meter breiter Streifen. Mit Sitzbänken, Spiel- und Rasenflächen und einer Promenade. Ähnlich grün und erholsam dürfte sich letztlich wohl nur noch ein weiterer geplanter Straßentunnel entlang des Mittleren Rings an der Oberfläche auswirken, nämlich der im Englischen Garten. Dort gibt es rechts und links der bestehenden Trasse keine größeren Zu- und Abfahrten. Deshalb lässt sich dort die Vision von einer komplett begrünten Tunneldecke und der "Wiedervereinigung" des Englischen Gartens realisieren. Sofern der Stadtrat das will. Derzeit erstellen die Fachleute des Bau- und des Planungsreferats eine vertiefende Studie zu den möglichen Tunnels am Mittleren Ring. Wenn alles nach Plan läuft, werden wohl im Herbst erste Ergebnisse vorliegen.

Klar ist aber schon jetzt: Außer bei der 400-Meter-Röhre im Englischen Garten werden an allen anderen Stellen am Mittleren Ring Autos an der Oberfläche verbleiben müssen - weil eben immer wieder Nebenstraßen auf den Ring stoßen und der Verkehr irgendwie abfließen muss. Zu- und Abfahrtsrampen zu den Tunneln lassen sich nicht beliebig oft errichten. Da sind den Ingenieuren alleine schon aus Platzgründen die Hände gebunden. Ganz abgesehen von den Kosten, die solche Zusatzbauten verursachen. Das gilt zum Beispiel auch für die von der SPD zuletzt im Kommunalwahlkampf ins Spiel gebrachte Untertunnelung der Schleißheimer Straße von der A 99 bis zur Rathenaustraße.

Tunnelskeptiker wie der ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff finden es daher "unredlich", dass Röhren-Fans wie Haberland immer wieder das Beispiel Petueltunnel ins Feld führen, wenn es um die Frage nach Sinn und Unsinn neuer Straßentunnels geht. "Man muss den Leuten klipp und klar sagen, dass es solche Lösungen an den meisten anderen Stellen dieser Stadt nicht geben wird, ja, schlicht nicht geben kann", sagt Ruff. Er plädiert, ähnlich wie die Grünen und die Linken im Stadtrat, dafür, die mehr als eine Milliarde Euro, die die neuen Tunnel kosten würden, lieber in den Ausbau des Bus- und Bahnnetzes zu stecken.

Dennoch werben unter anderem in Neuhausen, in Unter- wie in Obergiesing Anwohnerinitiativen weiter für die geplanten Tunnelbauten. Ihr Argument: Auch wenn nur ein Teil der Autos unter der Erde verschwindet, wären sie spürbar entlastet. Die Garmischer Straße etwa durchqueren derzeit noch bis zu 100 000 Autos täglich. Wer dort mal entlanggegangen ist, weiß, dass Lärm und Gestank nahezu unerträglich sind. Wird Ende Juli der Tunnel eröffnet, reduziert sich der Verkehr an der Oberfläche laut den Prognosen der Stadt auf 5000 Autos täglich.

© SZ vom 02.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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