Der Schreck und die "Was-wäre-wenn"-Fragen kamen erst später: Als Normann Wenke das 15 Meter tiefe Loch sah, in das er hätte fallen können. "Aber ich hatte einfach Glück", sagt er. Das Glück eines Spaziergängers, der ahnungslos die Innere Wiener Straße in Haidhausen entlanggeht, plötzlich brechen unter ihm die Bodenplatten ein, er rutscht ab - und unter ihm tut sich ein dunkler Schlund auf. Was Normann Wenke in der Nacht auf Samstag passierte, hätte jedem passieren können. Warum die Bodenplatten wegbrachen und was es mit dem aus alten Ziegeln gemauerten, 70 auf 80 Zentimeter großen Schacht auf sich hat, das müssen an diesem Montag Sachverständige des Baureferats klären.
Normann Wenke wohnt eigentlich in Gernlinden und war am Freitagabend mit seiner Frau nur zu Besuch in München. "Unser Sohn wohnt hier in der Inneren Wiener Straße", erzählt er. Die Familie aß zu Abend im Hofbräukeller am Wiener Platz und begleitete anschließend den Sohn zurück zur Wohnung. Die anderen waren bereits vorgegangen, Normann Wenke stand noch an einem Schaufenster und wollte dann weitergehen. "Plötzlich sind zwei Bodenplatten weggebrochen, ein Bein rutschte in den Schacht, ich fiel hin", erzählt er. Er schürfte sich ein Schienbein auf, rief seine Familie zurück und der Sohn leuchtete mit dem Handy in das Loch, das sich im Boden aufgetan hatte. "Da wurde mir bewusst: Das hätte auch anders ausgehen können. Ich bin nicht schlank, aber in das Loch hätt' ich gut reingepasst."
Die Familie alarmierte sofort die Polizei. Doch die kam nicht. Also rief man noch mal an und noch mal und nach einer Stunde war schließlich eine Streife da. "Wir haben auch noch anderes zu tun", sollen sie zu Normann Wenke gesagt haben. "Vermutlich haben die Beamten die Meldung von einer kaputten Bodenplatte anfangs nicht als so dringlich eingestuft", meinte ein Sprecher der Polizei am Sonntag.
Die Feuerwehr leuchtete den Schacht aus, konnte aber nach erster Begutachtung keinen Gang finden, der eventuell in der Tiefe zur Seite führt. Ein Sachverständiger des Baureferats nahm das Riesenloch ebenfalls in Augenschein und befand, dass für die Trambahn und die Wohnhäuser keine Gefährdung bestehe. Dann platzierten die Feuerwehrleute einen riesigen roten Container über dem Loch, die Polizei zog ihre rot-weiße Flatterleine darum herum. An diesem Montag gehen die Ermittlungen weiter. Zunächst soll das Loch mit einer Kamera erkundet werden.
"Das war früher alles Brauereigelände, fast die ganze Innere Wiener Straße ist unterkellert", erzählt Friedrich Steinberg, Pächter des benachbarten Hofbräu-Kellers. Von 1896 bis 1987 wurde dort gebraut, nach einem Brand kaufte die Schörghuber-Gruppe das Areal und errichtete Wohnungen. Dass dabei der Schacht nicht entdeckt wurde, sei verwunderlich. Es könnte ein Belüftungsschacht für die Bierkeller gewesen sein, mutmaßt Steinberg.