50 Jahre Studentenstadt Freimann:Live-Konzerte und sittliche Vorstellungen

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Hiltrud Starke zeigt das Haus, in dem sie als Studentin wohnte. Sie gehört zu den Ersten, die die Studentenstadt Freimann vor 50 Jahren bezogen. (Foto: Benedikt Laubert)

Vom Dorf zu einer der größten Studentenanlagen Deutschlands: Die Studentenstadt Freimann wird 50. Zwei Bewohner sehr unterschiedlichen Alters erzählen, was das Besondere hier ist - und wie sich die Moralvorstellungen und das Studentenleben in einem halben Jahrhundert verändert haben.

Von Benedikt Laubert

Hiltrud Starke braucht eine Weile, um sich in ihrer alten Heimat zu orientieren. Viele der Hochhäuser gab es zu ihrer Zeit noch nicht. Die zahlreichen grauen gleichförmigen Betonbauten im Münchner Norden wirken trist. Doch die Erinnerungen der 72-Jährigen an ihre Zeit hier sind alles andere als trist. Genau 50 Jahre ist es her, dass sie als eine der ersten Bewohner in die Studentenstadt Freimann zog. Heute bilden die Wohnheime eine der größten Studentenwohnanlagen Deutschlands.

Als Starke 1963 ihr neues Zuhause in Freimann bezog, war die Studentenstadt ein Dorf: "Die Häuser konnte man noch an einer Hand abzählen", sagt sie, "und überall war Baustelle". Sie bahnt sich ihren Weg durch die Studenten, die gerade Zelte für ein Kulturfestival aufbauen, Bierkisten schleppen oder einfach nur in Liegestühlen liegen. "Als die ersten Häuser öffneten, suchte man Studenten mit Heimerfahrung, die der Studentenstadt den Gemeinschaftsgeist einhauchen", erzählt sie.

Starke hatte diese Erfahrung, weil sie bereits vier Semester im evangelischen Studentenwohnheim Arcis in München gewohnt hat. Die aufgeweckte Frau, die damals Englisch und Französisch auf Lehramt studierte, erzählt vom Gemeinschaftsgefühl und von der Selbstbestimmung, in der sie sich mit ihren Kommilitonen damals übte. Nun kommt sie ins Schwärmen, lässt keinen Zweifel daran, wie sehr sie durch die Zeit in der Studentenstadt geprägt wurde. Doch Starke ist keine, die sich auf den Geschichten von früher ausruht. Seit zwölf Jahren leitet sie bei den Münchner Tafeln ein Team, das Essen an Arme verteilt.

Das Haus, das Starke 1963 bezog, steht immer noch. Damals zählte es mit seinen acht Stockwerken zu den höchsten auf dem Gelände. Schon zehn Jahre später gab es deutlich höhere Bauten wie das Hanns-Seidel-Haus mit seinen 21 Stockwerken. Einige hundert Studenten lebten vor 50 Jahren in der Wohnanlage, heute sind es mit rund 2500 etwa zehn Mal so viele. Man lebt hier inzwischen in unterschiedlichsten Wohnformen: in Einzelzimmern, Doppelzimmern, Wohngemeinschaften und Ehepaarwohnungen.

Letztere sind eine Errungenschaft der jüngeren Studentengenerationen. Starke und ihre Mitbewohner hatten zwar vorgeschlagen, Zwei-Zimmer-Wohnungen an verheiratete Studenten zu vergeben, doch die Anregung stieß auf Unverständnis: Das komme gar nicht infrage, man wolle "der Unmoral doch schließlich keinen Vorschub leisten", hieß es damals.

Den sittlichen Vorstellungen der Zeit entsprechend, gab es in den Häusern reine Damen- und reine Herrenflure. Gefeiert wurde trotzdem und die Aufstände der 68-er gingen auch nicht spurlos an den Wohnheimen vorbei. Die Studenten wehrten sich gegen Mietpreiserhöhungen, indem sie die Zahlung komplett verweigerten. Aber insgesamt sei es hier friedlicher gewesen als in der Uni, sagt Starke. "Während man im Hörsaal die Professoren verbal angriff, suchte man hier meistens das Gespräch."

Vielleicht fielen die Studentenunruhen hier nicht so heftig aus, weil Mitbestimmung von Anfang an Teil des Konzepts war. Die ersten Bewohner der Studentenstadt haben viele der Regeln selbst ausgearbeitet, nach denen sie sich richteten. Auch heute wählen die Studenten noch Vertreter, mit denen sie Entscheidungen über die Studentenstadt beeinflussen können.

Live-Band in der Wohnung darüber

Zino Toth, 24, schwarzer Kapuzenpulli, braune Jeans, wohnt in der sogenannten Neustadt, genauer: im Hanns-Seidel-Hochhaus. Ihm ist wie Hiltrud Starke die Mitbestimmung der Studenten wichtig. Zwar vertritt er keine Bewohner, aber er engagiert sich in der Fachschaft seines Studiengangs Tourismus-Management und hilft in dieser Position beim Aufbau für das StuStaCulum-Festival.

Zino Toth vor dem Studentenwohnheim, in dem er lebt. (Foto: Benedikt Laubert)

Nun schleppt er Tische, baut den Getränkestand auf. Dazwischen nimmt er sich Zeit und erzählt, warum er in die Studentenstadt gezogen ist: Es ist zum einen die günstige Miete - 173 bis 310 Euro kosten derzeit Einzel- und Doppelzimmer. Zum anderen ist Toth wegen des Gemeinschaftsgeistes gekommen. "Hier hilft man sich und feiert anständig", sagt er. "Wenn man in die Studentenstadt zieht, muss man sich aber darauf einstellen, dass man manchmal nicht schlafen kann, weil gerade in der Wohnung drüber eine Live-Band spielt." Ihm sei das egal, weil er meist selbst zu denen gehöre, die laut feiern.

Dem Gelände sieht man nicht an, dass es von Studenten bewohnt wird: Alles wirkt ordentlich, der Rasen zwischen den Häusern ist gut in Schuss. "Nach jeder Party ist hier aufgeräumt", sagt Toth, "ich habe keine Ahnung, wer das macht, aber ich finde es super". Dieses Wochenende wird es wieder laut und unordentlich in Freimann werden: Das von Studenten organisierte Kulturfestival StuStaCulum findet zum 25. Mal statt. Bis Samstag treten Bands wie Rainer von Vielen auf. Zudem gibt es Theater, Kleinkunst - und natürlich: Bier.

Hiltrud Starke wird wohl nicht zum Fest kommen, aber alle paar Jahre trifft sie sich noch mit den Zimmernachbarn aus ihrer Zeit in der Studentenstadt.

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