200 Jahre Viktualienmarkt (3):Ein Diplomat zwischen Obst und Gemüse

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Zu Zeiten Anton Schlumprechts wurde der Aufseher noch mit dem Tod durch Erstechen bedroht - Georg Aust ist das noch nicht passiert.

Anne Goebel

An einem Sommertag des Jahres 1848 kommt es zu einem Tumult auf dem Viktualienmarkt, und nach Lage der Akten muss man sagen: wieder einmal. Beteiligt sind der Marktinspektor Schlumprecht und eine Gärtnersfrau aus Augsburg, die in München Gemüse verkaufen möchte. Weil ihr das als Auswärtige nicht erlaubt ist, wird sie vom Ordnungshüter ,,in brutalstem Tone angefahren und vom Markte verwiesen''.

Kontrolleur Georg Aust (Foto: Foto: Hess)

Zwei anderen Händlerinnen ergeht es ähnlich. Die Münchner Neuesten Nachrichten bringen am 9. Juli 1848 eine echauffiert intonierte Notiz, die den Rauswurf offen missbilligt (,,Hat dieser Marktinspektor zu solch einem Verfahren Auftrag?'') Ruppiges Auftreten scheint bei Anton Schlumprecht aus Sulzach in Franken gar nicht so selten gewesen zu sein, es gibt viele Berichte über Zusammenstöße, und Georg Aust kann darüber nur den Kopf schütteln. An einem Frühlingsmorgen 149 Jahre später steht Aust auf dem Viktualienmarkt, sein Tag als Marktaufseher beginnt; er schiebt die Dienstmütze in den Nacken und sagt: ,,Du musst Diplomat sein. Sonst geht gar nichts.''

Die tägliche Patrouille zwischen Obstständen, Marktweibern, Metzgereien, der Alltag der Kontrolleure damals und heute: Dass der Vergleich überhaupt möglich ist, ist Franz Bayer zu verdanken. Der Nachfahre Schlumprechts verfasste in den Fünfziger Jahren eine Lebensgeschichte seines pflichteifrigen Ahnen, er hat in Archiven geforscht, Dokumente kopiert und alles in Schreibmaschinenschrift zu einem kartonierten Heft gefügt: ,,Leben-Wirken-Sterben des Anton Schlumprecht weiland Marktinspektor zu München''.

Es enthält Ausführungen über die Herkunft des Zimmermannssohns aus Mittelfranken, über seine Münchner Erstkarriere als Soldat und Gendarm, über Schlumprechts späte Fortüne in Liebesdingen (ein unehelicher Sohn, eine Scheidung von trunksüchtiger Gattin, dann Verheiratung mit der Tagelöhnerstochter Therese Pfleger). Am aufschlussreichsten über den Alltag im Biedermeier-München sind natürlich die Berichte über Schlumprechts - Bayer nennt ihn der Kürze wegen ,,Schl.'' - kraftzehrende Tätigkeit als Inspektor. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Nachkomme von den Konfrontationen zwischen ,,Viktualienpolizei'' und Händlern ganz gern erzählt - weil es amüsante Geschichten sind.

Schon zum missglückten Auftakt seiner Laufbahn im Mai 1843 wird der Neumünchner ,,bei Einführung nöthiger Ordnung in den Fleischbänken mit Hinauswerfen u.Erstechen bedroht''. Nach dem Zwist mit den Schlachtern zieht sich Anton Schlumprecht den Zorn diverser Obständlersfrauen und eines ,,Tierarztenssohns'' zu, ein Höhepunkt scheint die Bürgerversammlung vom Februar 1848 im Schwankhart'schen Bräuhaus (heute Dürnbräu im Tal) gewesen zu sein: Schl. nennt den Schönfärber Klaußner ,,ausser sich vor Zorn'' einen Lumpen, Bürgermeister von Steinsdorf persönlich ordnet eine Untersuchung an.

Franz Bayer - im großen und ganzen ein neutraler Chronist, doch mit deutlicher Anteilnahme an der in späten Jahren von Krankheiten und Kinderreichtum belasteten Existenz des Urgroßvaters - lässt sich über die Ursache der Streitereien oft nicht weiter aus, aber man kann sich das schon vorstellen: Schlumprecht, auf Abbildungen ein korpulenter Mann mit buschigen Koteletten und Halbglatze, hatte die Viktualien zu beaufsichtigen.

Die Frische von Geflügel zu überwachen, die Qualität des Gemüses, den Fleischpreis, die Waagen, Gewichte - da dürften die Vorstellungen von Inspektor und Handelsleuten öfter auseinander gegangen sein. Noch dazu, wie Bayer findet, da ,,die Münchner Marktweiber nicht sehr zartbesaitet sind, und manchmal wird er in heiligem Zorn hineingefahren sein.''

Zeitsprung, anderthalb Jahrhunderte später: Der Marktaufseher Georg Aust steht am Stand der ,,Fruitique'' mit ihren prächtig polierten Obstpyramiden, sein Gespräch mit der Leiterin Sigrid Sigrüner hört sich friedlich an. Der ,,Schorsch'', sagt sie, sei ja auch keiner, ,,der um die Ecke gebraust kommt, und du denkst, ,der schon wieder'''. Aust, im Dienstmann-Outfit, war acht Jahre lang auf dem Viktualienmarkt im Einsatz, inzwischen wechselt er zwischen Großmarkthalle und Innenstadt. Dass der 58-Jährige kein Typ für barsche Zurechtweisungen ist, merkt man schnell bei einem Rundgang übers Revier.

Er grüßt nach links und rechts, frotzelt über Fußballergebnisse, charmiert hübsche Ex-Händlerinnen (,,bei ihr darf ich's, bin ja nicht mehr zuständig'') und hat die Augen doch überall. Defensive Kontrolle könnte man das nennen, oder Diplomatie, wie er selbst sagt - und dass er die Mütze seiner Dienstkluft gern in den Nacken schiebt, hat auch damit zu tun, dass Uniformen nicht so seine Sache sind.

Allerdings haben es Aust und seine vier Marktaufsichts-Kollegen auch viel leichter als Schlumprecht: Hilfe kommt bei Bedarf von einem eigens zuständigen Polizisten, und für die Lebensmittelkontrolle ist sowieso das Kreisverwaltungsreferat zuständig. Aust überprüft Dinge wie: Ob die Kühlung der Lagerkeller funktioniert, ob die Größe der Stände eingehalten und nichts ,,überbaut ist'', sonst muss er einschreiten. Ob das genau festgeschriebene Sortiment nicht heimlich erweitert wird - da komme es schon vor, dass er sagen müsse, ,,der Schinken, der gehört weg''. Man hat aber den Eindruck, dass ihn die Händler respektieren, weil er sich nicht aufplustert.

Und wenn ein Musikant oder Stelzenläufer weichen muss - der Viktualien- ist schließlich kein Jahrmarkt - dürfte Austs freundlich-bestimmte Art auch von Vorteil sein. Könnte das, Herr Marktaufseher, auch mit sowas wie Zuneigung zum Arbeitsplatz zu tun haben? Georg Aust winkt ab. Dann zögert er. ,,Also, ein Platz'', sagt er und deutet auf die sonnenbeschienene Szenerie um ihn herum, ,,ein Platz ist das schon''.

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