MTV München:Feilen an den Feinheiten

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Amelie Döbler, TSV München-Ost. (Foto: Robert Haas)

Amelie Döbler ist deutsche Meisterin im Kugelstoßen und Diskuswerfen. Sie hofft auf Olympische Spiele

Von Andreas Liebmann, München

Das Treffen beginnt mit einem Missverständnis. Hörbar schnaufend öffnet Amelie Döbler die Tür zur Werner-von-Linde-Halle im Olympiapark, eine imposante Erscheinung: 1,95 Meter groß, kräftig; auf die Idee, dass sie an diesem Montag erst 16 Jahre alt wird, muss man erst mal kommen. Hereinspaziert, das Training gehe gerade zu Ende, zum Abschluss werde immer noch etwas gejoggt, erklärt sie freundlich ihre Atemnot. Soso.

Die Halle ist fast leer, nur bayerische Kader-Leichtathleten haben hier Zutritt. Amelie Döbler kehrt in jene schummrige, mit einem Netz verhängte Ecke zurück, in der die Werfer üben, sie greift mit beiden Händen eine Metallkugel, schwingt sie mit ausgestreckten Armen zwischen ihre Knie, dann schleudert sie sie in hohem Bogen über ihren Rücken in Richtung Hallendach. Einige Minuten später wird sich herausstellen, dass sie mitnichten vom "Joggen" kam, sondern vom "Schocken", wie diese Wurfübung genannt wird. Sie dient zur Steigerung der Schnellkraft, erklärt Trainer Gerhard Neubauer.

Seit 1983 ist Neubauer als Wurftrainer tätig, vor fünf Jahren, als er Vizepräsident Leistungssport beim Bayerischen Leichtathletik-Verband wurde, habe er damit eigentlich aufhören wollen. Dann sei Jörg Döbler gekommen, der erste Athlet, den Neubauer damals betreut hatte. "Er sagte: Meine Kinder musst du schon noch trainieren", erzählt Neubauer schmunzelnd. Also steht er bis heute regelmäßig in der Halle und auf dem Freiplatz, bildet mit dem jüngeren Andreas Bücheler die Wurfgruppe des TSV München-Ost aus, einem Mitgliedsverein der LG Stadtwerke München - und eben nicht zuletzt Jörg Döblers Sohn Valentin und dessen zweieinhalb Jahre jüngere Schwester Amelie.

Unmittelbar bereut haben dürfte er seine Entscheidung nicht. Beide Döbler-Kinder zählen zur nationalen Spitze. Amelie wurde 2014 mit Kugel und Diskus deutsche U16-Meisterin, bei der deutschen Winterwurf-Meisterschaft 2015 belegte sie mit dem Diskus Rang zwei in der Altersklasse U18, in der sie mit 46,72 Meter bereits die WM-Norm erfüllt hat. Einmal, sagt Neubauer, habe er eine ähnliche Athletin trainiert, Claudia Mues, die nach drei Jugend-WM-Teilnahmen leider aufgehört habe mit dem Leistungssport. "Sie war eine, die Olympia gesehen hätte", ist er sich sicher. Das traut er nun auch Amelie zu, "wenn sie ernsthaft dafür arbeitet". Fleißig und zielstrebig sei sie, doch man könne nicht erwarten, dass jemand in diesem Alter wisse, was er mal mit 24 macht.

Bislang erweckt Amelie Döbler nicht den Eindruck, als verfolge sie andere Pläne. Ein Leben ohne ihren Sport könne sie sich nicht vorstellen, sagt sie. Wenn sie aus der Schule komme, freue sie sich aufs Training, es sei zum Ritual geworden: Erst auspowern, "danach kann ich gut lernen". Sechs Mal pro Woche übt sie, dreimal Technik-, dreimal Krafttraining, fast jedes Wochenende stehen Wettkämpfe an. Man braucht viel Disziplin, ständig an Feinheiten im Bewegungsablauf zu feilen, immer wieder Gewichte zu stemmen. "Wenn die Technik nicht klappt, werden die Würfe kurz, dann ärgert man sich", so erklärt sie ihren Ehrgeiz. In der Schule werde sie oft angesprochen, ob sie nicht Basketball spielen wolle, wegen ihrer Größe, "aber das hat mir schon beim Zuschauen keinen Spaß gemacht". Nein, sie schindet sich lieber dafür, sich an Wochenenden mit anderen zu messen, sie genießt die Wettkampfatmosphäre. "Mir ist es sehr wichtig, oben zu stehen", sagt sie ohne Scheu. Verbissen wirkt sie nicht, immer wieder lächelt sie fröhlich - aber zielstrebig ist sie durchaus. Zurzeit besuche sie eine Wirtschaftsschule, erzählt sie, "danach gehe ich zur FOS und mache mein Abitur".

Vor acht Jahren hat das begonnen mit der Leichtathletik, vor fünf Jahren folgte sie ihrem Bruder zum Kugelstoßen und Diskuswerfen, elf bayerische Meistertitel hat sie seitdem gesammelt. Ihr erster Wettkampf fand in dieser Halle statt, noch ohne jede Technik sei sie im Kugelstoßen "mit sechs Meter irgendwas" Vierte geworden. "Ich dachte, jetzt will ich aber auch mal Erste werden." Ein, zwei Wettkämpfe später war es soweit. Im Juli wird sie, wenn alles klappt, Deutschland bei den Europäischen Olympischen Jugendspielen in Tiflis vertreten. Es wäre ihr erster internationaler Auftritt. Ihr sei es wichtig, "alles aus Spaß" zu machen, betont Amelie Döbler, "sonst bin ich nicht gut". Aber klar: Die echten Olympischen Spiele seien ihr ganz großes Ziel.

In Sachen Athletik müsse die nächsten Jahre noch viel passieren, sagt Trainer Neubauer, Amelies körperliche Voraussetzungen seien aber optimal. Er zitiert den Handballtrainer Vlado Stenzel: Alles könne man lernen - nur das Wachsen nicht.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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