Als die Bundesrepublik 2015 erstmals einen gesetzlichen Mindestlohn einführte, orientierte man sich an Großbritannien. Dort legt eine Kommission fest, wie stark jedes Jahr die gesetzliche Lohnuntergrenze steigt, die Arbeitgeber nicht unterschreiten dürfen. Dies soll direkten politischen Einfluss auf die Höhe vermeiden. So bestimmte in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren ein Gremium über die Erhöhungen, dem jeweils drei Vertreter der Arbeitgeber und der Gewerkschaften angehören und ein(e) neutrale(r) Vorsitzende(r). 2022 wich die Bundesregierung davon ab. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im Wahlkampf versprochen, den Mindestlohn deutlich auf zwölf Euro zu erhöhen. Er nahm damit Kritik auf, die Kommission erhöhe die gesetzliche Lohnuntergrenze nur sehr langsam. In diesem Jahr entschied wieder die Kommission. Dabei kam es erstmals zu einer Kampfabstimmung: Die Arbeitgebervertreter setzten eine geringe Erhöhung des Mindestlohns um nur jeweils 0,41 Euro 2024 und 2025 durch. Weil die neutrale Kommissionsvorsitzende, ein Ex-Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, mit den Arbeitgebern stimmte, blieben die Gewerkschafter in der Minderheit. Sie kritisieren, die rund sechs Millionen Bezieher des Mindestlohns und ihre Familien würden nun nicht ausreichend gegen die hohe Inflation geschützt.