Zum Tod des Journalisten Ben Bradlee:American Idol

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Ben Bradlee auf einem Archivbild, aufgenommen im Jahr 1973 (Foto: AFP)

Ben Bradlee verwandelte die "Washington Post" von einer verschnarchten Gazette in ein Leitmedium - nicht zuletzt dank der Watergate-Affäre. Nun ist der mutige Journalist und Charmeur im Alter von 93 Jahren gestorben.

Von Reymer Klüver

Er war das, wofür die Amerikaner eine schlichte, aber sehr treffliche Umschreibung kennen. Ben Bradlee, der am Dienstag im Alter von 93 Jahren gestorbene, legendäre Chefredakteur der Washington Post, war einfach greater than life. Eine Erscheinung also, wie sie das Leben selten hervorbringt, eine Persönlichkeit, die viele, wenn nicht alle um sich herum, überragte (und sie es mitunter auch spüren ließ). Ein Mann, der in seinem Leben gleich zwei große Leistungen vollbracht hat, mit denen er seinen Namen in die amerikanische Mediengeschichte, wenn nicht in die Historie seiner Nation eingebrannt hat.

Bradlee war es, der aus einem ziemlich lausigen Provinzblatt eine Zeitung geformt hat, die sich nun, ohne falsche Bescheidenheit (und noch immer mit einiger Berechtigung) zu den führenden Zeitungen der Welt zählt. Und ohne ihn, ohne seinen breiten Rücken, hätten seinerzeit zwei junge Reporter namens Bob Woodward und Carl Bernstein wohl kaum über Monate hinweg den Freiraum bekommen, einen Skandal aufzudecken, der sich zu einer nationalen Affäre entwickelte und an dessen Ende der schmachvolle Rücktritt eines amerikanischen Präsidenten stand.

Ben Bradlee war eine Gestalt wie geschaffen für die Washingtoner Gesellschaft, wo sich schon immer der alte Ostküsten-Geldadel (und das neue Geld) mischte mit denjenigen, denen Amerikas Wähler zu Macht und Ansehen auf Zeit verholfen hatten. Bradlee war lebhaft, mitunter laut und raubeinig, aber stets unterhaltsam, ein Charmeur. Selbst im hohen Alter konnte man auf Washingtoner Empfängen noch erleben, wie er mühelos Zuhörer um sich scharte.

Nachbar JFK

Schon in jungen Jahren verfügte er über ein großes Ego, über gute Verbindungen und über ein bisschen Geld. Bradlee stammte aus einer angesehenen Bostoner Familie, die wie selbstverständlich seit Generationen ihre Sprösslinge an die Elite-Universität Harvard schickte. Und so war es auch fast wie selbstverständlich oder zumindest kein allzu großer Zufall, dass Bradlees Nachbar in Washington, wohin er nach Studium und Kriegsdienst als Reporter des Nachrichtenmagazins Newsweek gekommen war, ein gewisser John F. Kennedy war. Beide verband die Herkunft aus Neuengland, das Studium an der Kaderschmiede Harvard und bald eine enge Freundschaft. Sie bescherte Bradlee nach dem Einzug Kennedys ins Weiße Haus eine Reihe von Scoops und machte ihn Anfang der 1960er-Jahre zu einem der begehrtesten Journalisten der US-Hauptstadt.

In diese Zeit fiel auch die Verbindung zur damaligen Verlegerfamilie der Washington Post, den Grahams. Der Shootingstar Bradlee hatte dem Familienpatriarchen Philip Graham in einem nächtlichen Telefonanruf den Kauf von Newsweek empfohlen. Der Deal ging tatsächlich wenig später über die Bühne (wofür Bradlee zum Bürochef avancierte und als Vermittlungstantieme ein Aktienpaket der Washington Post erhielt). 1965 holte ihn Grahams Witwe Katharine an die Spitze der Zeitung - und Bradlee ging an den Umbau des Blattes. Aus der verschnarchten Gazette machte er Amerikas Hauptstadtzeitung, deren politische Berichterstattung lange Jahre nur die New York Times das Wasser reichen konnte. Unter seiner Ägide sammelte die Washington Post 17 Pulitzerpreise - die höchste Medienauszeichnung der USA (in den Jahrzehnten zuvor waren es ganze vier gewesen). Die Auflage des Blattes verdoppelte sich nahezu in der Ära Bradlee.

"Washington Post" im Porträt
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"Wir haben dieses Blatt geliebt", schreibt Donald Graham, dessen Familie die "Washington Post" in den vergangenen 80 Jahren geführt hat. Viele Wendungen hat die Traditionszeitung in ihrer langen Geschichte erlebt. Ein Rückblick von der Gründung 1877 bis in die Gegenwart.

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Am bekanntesten ist sicher die Berichterstattung über die Watergate-Affäre geworden. Und Bob Woodward hat stets Bradlees Verdienste hervorgehoben. Immer wieder habe er vor dessen Verdikt gezittert: "Das reicht noch nicht, Junge." Was ihn zu Nachfragen und Recherchen zwang.

Doch den Ruf als Zeitung hatte Bradlee schon kurz zuvor, 1971, gesichert, als er aus den sogenannten Pentagon Papers zitierte, geheimen Dokumenten des US-Verteidigungsministeriums, die belegten, wie sehr die US-Regierung die amerikanische Öffentlichkeit seit Jahren über das wahre Ausmaß des Vietnamkriegs in die Irre geleitet hatte. Zuvor hatte die New York Times darüber berichtet. Präsident Richard Nixon hatte dies per Gerichtsverbot gestoppt. Bradlee machte weiter - und bekam schließlich vom Supreme Court recht.

Wie ein Löwe

Es war eine heikle Entscheidung. Damals hatte die Post gerade einen Börsengang vorbereitet. Da konnten Querelen mit der Regierung potenzielle Aktienkäufer nur abschrecken. Bradlee wollte dennoch die Veröffentlichung - und die Verlegerin Graham billigte seine Entscheidung.

Überhaupt hatte Bradlee den Ruf, sich wie ein Löwe vor seine Redakteure zu werfen, wenn Politiker deren Ablösung wegen angeblich falscher Berichterstattung verlangten oder Verlagsmanager sie einsparen wollten. Nur eine Bedingung stellte er an sie: "Die Geschichte muss stimmen." Einmal hatte ihn in der Zeit sein Gespür verlassen: Eine junge Reporterin hatte die anrührende Geschichte eines Heroinsüchtigen erfunden - wofür sie auch noch den Pulitzerpreis bekam. Als die Lügengeschichte aufflog, gab Bradlee den Pulitzerpreis zurück und bot seinen Rücktritt an. Die Verlegerin lehnte ab. Erst 1991 zog er sich mit 70 Jahren als Chefredakteur zurück.

Es muss Bradlee wehgetan haben zu sehen, wie sehr das Blatt, das er groß gemacht hatte, in den letzten Jahren einknickte unter dem Druck des digitalen Zeitalters. Wie alle Zeitungen weltweit - und in Amerika ist die Wucht dieses Trends ungleich stärker zu spüren als in Deutschland - hat die Washington Post an Auflage verloren. Die Werbeeinnahmen brachen weg. Das Internet sog von Jahr zu Jahr mehr Leser und Dollars auf, und die Verlegerfamilie schien den Mut zu verlieren, den sie so lange bewiesen hat. Die Post machte das, was so viele tun - und sparte sich nur noch kränker. Sie schloss die meisten ihrer Korrespondentenbüros weltweit und alle in den USA, ganze Teile der Zeitung wurden eingedampft und zusammengelegt. Das Blatt wurde dünner und das Angebot spürbar schlechter, mit der Folge, dass noch mehr Leser der Post den Rücken kehrten.

Wie eine Ironie der Geschichte mutet es geradezu an, dass ausgerechnet der Chef des Internetgiganten Amazon, Jeff Bezos, das schwindsüchtige Blatt vor weiterem Verfall rettete. Die Grahams verkauften die Post an den Ritter der neuen Zeit, und bisher ist die Zeitung nicht schlecht damit gefahren. Bisher.

© SZ vom 23.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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