Schweiz:Das Oma-Gate

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Ngozi Okonjo-Iweala, die neuernannte Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO). (Foto: dpa)

Wie die Zeitungen der CH-Media-Gruppe über die künftige WTO-Chefin berichten.

Von Isabel Pfaff, Bern

Es war eine denkbar unglückliche Überschrift, die am 9. Februar in Zeitungen der CH-Media-Gruppe zu lesen war. "Diese Grossmutter wird neue Chefin der Welthandelsorganisation" war da über die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala zu lesen. Die zu diesem Zeitpunkt kurz davor stand, als erste Frau an die Spitze der in Genf beheimateten WTO gewählt zu werden. Okonjo-Iweala ist 66 Jahre alt und tatsächlich Großmutter, allerdings auch Harvard-Ökonomin, ehemalige Ministerin Nigerias und Aufsichtsrätin unter anderem von Twitter. Keines dieser Attribute schaffte es jedoch in die Zeile der CH-Media-Titel, zu denen unter anderem die Aargauer Zeitung, die Luzerner Zeitung und das St. Galler Tagblatt gehören.

Der Unmut im Netz folgte prompt. "Wäre Harvard-Ökonomin nicht naheliegender gewesen?", twitterte ein Politiker aus dem Kanton Aargau. Die prominente Schweizer Wirtschaftsjournalistin Patrizia Laeri bemerkte ironisch: "Es hiess ja auch jeweils in den Schlagzeilen: ein Grossvater führt die EZB, als Mario Draghi ihr vorstand ..." Eine andere Nutzerin postete das - rein männliche - Impressum von CH Media und schrieb dazu: "Vielleicht mag hier auch ein Grund für solche Sichtweisen zu finden sein." Männlich hin oder her, das Medienhaus reagierte schnell. Am 10. Februar verbreiteten die CH-Media-Titel einen korrigierenden Tweet: "Wir haben die 66-jährige Ökonomin und ehemalige Weltbank-Vizechefin in einem Porträt vorgestellt und im Titel auf ihre Rolle als Grossmutter fokussiert. Das war falsch." Am selben Tag entschuldigte sich Pascal Hollenstein, der wendige publizistische Leiter von CH Media, öffentlich: "Es tut uns leid", sagte er gegenüber dem Schweizer Medienportal persoenlich.com. Und auf Twitter: "Wer Zeitung macht, macht auch Fehler." Im Online-Text - mit neuem Titel - erinnert eine Fußnote an den Fehltritt. Darin entschuldigt sich die Redaktion sogar bei dem (freien) Autor des Artikels. Der war mitsamt den Zeitungen in den Shitstorm geraten, obwohl nicht er, sondern die Redaktion die Überschrift verfasst hatte.

Sogar die Gastgeberrolle der Schweiz in Genf wird nun in Zweifel gezogen

Nun könnte die peinliche Geschichte damit ein Ende haben. Doch "Großmutter-Gate", wie Schweizer Medien die Affäre inzwischen betiteln, schlug noch höhere Wellen. Ein nigerianisches Online-Medium nahm die Geschichte Mitte Februar auf, und am 23. Februar beschäftigte sich sogar der britische Guardian damit. Doch endgültig zur Staatsaffäre wurde der Vorfall erst vor einigen Tagen. Da nämlich entschieden sich 124 Botschafter und Direktoren internationaler Organisationen aus Genf, angeführt von der österreichischen Botschafterin Elisabeth Tichy-Fisslberger, einen Brandbrief an CH Media zu schreiben. Sie beschweren sich darin heftigst über die herabsetzende Beschreibung der neuen WTO-Chefin. Und: Sie fragen, ob die Redaktion glaube, der Schweiz im Hinblick auf ihre Gastgeberrolle in Genf mit solchen Überschriften wirklich einen Dienst zu erweisen.

Es darf bezweifelt werden, dass internationale Akteure wegen einer missglückten Überschrift künftig einen Bogen um Genf machen werden. Schweizer Medien schüren derweil einen ganz anderen Verdacht: Hinter dem Brandbrief der Österreicherin, munkelt die NZZ, könnte schlicht und einfach die alte Standort-Rivalität zwischen Genf und Wien stecken.

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