Experten-Prognosen:Knappe Sache oder Erdrutschsieg?

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Alle Umfragen sehen Barack Obama vorne. sueddeutsche.de hat zwei renommierte US-Politologen um ihre Prognose gebeten - mit teilweise überraschenden Ergebnissen.

Moritz Koch

Heute Nacht wird die Welt erfahren, wer der 44. Präsident der Vereinigten Staaten wird: Barack Obama oder John McCain. Zwei renommierte US-Politologen wagen für sueddeutsche.de schon mal eine Prognose.

Daniel Hamilton sieht zwar Barack Obama vorne, allerdings relativ knapp mit 306:232 Wahlmännerstimmen. Allerdings glaubt er, dass die drei großen "Battleground States" Ohio, Pennsylvania und Florida allesamt an den Demokraten gehen. (Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Daniel Hamilton ist Direktor des Zentrums für transatlantische Beziehungen an der School of Advanced International Studies (SAIS). Er rechnet mit einem knappen Erfolg für Obama.

Bei den US-Wahlen dreht sich alles um die Zahl Wahlmänner, die die Kandidaten gewinnen. Man muss mindestens 270 Wahlmänner haben, um Präsident zu werden. Ich schätze, dass Obama um die 300 Stimmen gewinnen wird. Wir werden das in der Wahlnacht genau verfolgen können. Die erste Schlacht wird in Pennsylvania geschlagen, wo Hillary Clinton Obama in den Vorwahlen besiegt hat. Und wenn man schaut, wo sie ihn geschlagen hat und das mit der Präsidentschaftswahl 2004 vergleicht, zeigt sich: Die Bezirke, wo Hillary Clinton gewonnen hat, und jene, in denen George W. Bush gegen John Kerry siegte, sind praktisch die gleichen. Das heißt: Obama konnte im ländlichen Pennsylvania nicht punkten. Die Frage ist jetzt, ob Obama dieses Mal besser abscheidet oder ob es McCain gelingt, Clintons Erfolg zu kopieren und in Pennsylvania zu siegen. Ohne Pennsylvania hat McCain praktisch keine Chance mehr.

Auch in Virginia wird das Rennen spannend. Ein Südstaat, Hauptstadt der Konföderation vor mehr als 100 Jahren und traditionell ein roter, ein republikanischer Staat. Aber in letzter Zeit hat sich Virginia stark verändert. Die Vororte von Washington D.C. im Norden Virginias wachsen stark und sind eher demokratisch gesinnt. Die Frage wird also sein, ob die Wähler tatsächlich bereit sind, einen schwarzen Präsidenten zu wählen.

Es gibt einen Präzedenzfall: Der demokratische Gouverneur von Virginia vor etwa 15 Jahren, Doug Wilder, ein schwarzer Kandidat, führte bis zum Wahltag mit zehn Prozentpunkten in den Umfragen. Letztendlich gewann er nur mit einem halben Prozentpunkt Vorsprung. Ich glaube, das lag vor allem an seiner Hautfarbe. Niemand spricht dies direkt an, aber die Frage der Rasse wird in manchen Bezirken eine wichtige Rolle spielen.

Ein weiterer sehr wichtiger Bundesstaat ist Ohio. Ohio ist ein Spiegelbild der Mitte Amerikas. Kein Republikaner hat je die Präsidentschaft gewonnen, ohne auch in Ohio zu gewinnen. Auch vor vier Jahren entschied der Bundesstaat die Wahl. Bush gewann mit einer sehr geschickten Strategie. Er hat bewusst polarisiert und alle republikanischen Wähler an die Wahlurnen getrieben. Er hat darauf gesetzt, dass Kerry diese Mobilisierung nicht gelingen würde. Sein Pokerspiel ist aufgegangen. McCain aber ist nicht so gut organisiert wie Bush und er polarisiert auch nicht so stark. Er versucht, in der Mitte Stimmen zu bekommen, weil er fürchten muss, dass bei dieser Wahl viele sozialkonservative Wähler zu Hause bleiben. Doch derzeit sieht es nicht danach aus, als könne McCain mit dieser Strategie Ohio gewinnen.

Lesen Sie auf Seite zwei die Prognose von Stephen Szabo vom German Marshall Fund.

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Stephen Szabo ist Direktor der Transatlantischen Akademie des German Marshall Funds. Er rechnet mit einem erdrutschartigen Obama-Sieg.

Stephen Szabo rechnet mit einem Erdrutsch-Sieg Obamas: 364:174. Das wären fast so viele Wahlmännerstimmen wie zu Zeiten Bill Clintons. (Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Die Ausgangslage ist sehr günstig für Obama. Schon jetzt kommt er mit den Staaten, die stark oder tendenziell demokratisch sind auf 264 Wählmännerstimmen. Es fehlen ihm also nur noch sechs für die 270, die er braucht, um Präsident zu werden.

Es gibt zwei Battleground States, die sehr wichtig sind, beide liegen in den Südstaaten, beide sind bei den vergangenen Wahlen an die Republikaner gegangen: Florida und North Carolina. In Florida hat Obama einen Vorsprung von etwa drei Prozentpunkten. Das ist zwar knapp, aber Obama hat gute Chancen, die 27 Wahlmänner Floridas zu gewinnen, weil er viele neue Wähler für die Demokraten angeworben hat.

North Carolina hat 15 Wahlmänner-Stimmen. Neben dem Präsidentschaftswahlkampf findet dort am Dienstag auch eine spannende Senatswahl statt, die die Probleme der Republikaner deutlich macht. Elizabeth Dole, eine äußerst prominente Republikanerin, liegt fünf Prozentpunkte hinter ihrer demokratischen Herausforderin Kay Hagan.

In North Carolina gibt es viele schwarze Wähler, die früher oft nicht zur Wahl gegangen sind, sich nun aber sehr stark für Obama engagieren. Außerdem wurde North Carolina von der Finanzkrise hart getroffen. Die Stadt Charlotte ist ein wichtiges Finanzzentrum. Viele Jobs sind in Gefahr. Und schließlich gibt es in North Carolina ein Cluster von Universitäten und Forschungseinrichtungen. Wir haben in North Carolina also viele gutausgebildete Leute, viele Afroamerikaner und viele wirtschaftlich verunsicherte Wähler. Das spricht für Obama. Seine Siegeschancen sind in North Carolina noch größer als in Florida.

Alles deutet bei darauf hin, dass Obama Präsident wird und ich glaube, wir können den Umfragen trauen. An den Bradley-Effekt, der besagt, dass weiße Wähler bei Umfragen vorgeben, für einen schwarzen Kandidaten wie Obama zu stimmen und es dann doch nicht tun, glaube ich nicht. Alle jene, die Vorwände finden wollten, gegen Obama zu stimmen, haben jetzt ein Jahr Zeit gehabt, welche zu finden. Es könnte aber so etwas wie den umgekehrten Bradley-Effekt geben. Es gibt viel weiße Wähler, gerade in North Carolina, die sehr verunsichert über die Wirtschaftslage sind und deshalb demokratisch wählen werden. Nur wollen sie das nicht sagen, weil ihr Umfeld stark republikanisch geprägt ist.

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