W&V: Journalismus on Demand:Call a Content - Sie suchen, wir schreiben

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Nur wer über Themen schreibt, die via Google oft gesucht werden, profitiert. Für kaum gelesene Artikel gibt es dagegen auch kein Geld: Willkommen beim Journalismus on Demand.

Helmut van Rinsum

Harald Rossa ist Rentner und schreibt und schreibt. Über die Kleinstadt Lindow im Ruppiner Land. Über den Streik der Lkw-Fahrer in Griechenland. Über den Panzer Sherman M4. Über 1000 Artikel hat der 60-Jährige inzwischen verfasst und auf der Plattform Suite101.de veröffentlicht.

"Suite101"-Chefredakteur Dirk Westphal erhält auf seinem Portal von knapp 750 Autoren Texte. (Foto: Suite101)

Im Februar 2008 startete die Website als deutscher Ableger eines kanadischen Unternehmens. Inzwischen haben dort rund 750 Autoren über 35.000 Artikel zu den verschiedensten Themen hinterlegt: zu Haus, Hobby, Pflanzen, Tieren, Gesundheit. Aktuelles sucht man dagegen vergebens.

"Der Schwerpunkt liegt auf Berichten von zeitloser Relevanz", sagt Chefredakteur Dirk Westphal. "Wir haben Longseller wie Fitness-Tipps oder Arbeitnehmerrecht, die sind seit zweieinhalb Jahren im Programm." Die meisten Leser schaufelt die Suchmaschine Google auf das Netzwerk der Autoren, wie sich Suite101.de nennt. Was oft gelesen wird, rutscht im Ranking nach oben, womit die Chance auf Google-Werbeanzeigen steigt.

Journalismus als nettes Zubrot

Das wiederum verschafft den Schreibern eine kleine Aufwandsentschädigung: Journalismus on Demand - im unteren Lohngefüge. "Unsere besten Autoren verdienen derzeit rund 800 Euro, und das jeden Monat", sagt Westphal. Im Schnitt seien es allerdings nur 2,50 Euro.

Das klingt nicht wirklich lukrativ, und dennoch bewerben sich ständig neue Autoren darum, auf Suite101.de publizieren zu können. Rund ein Drittel müsse man allerdings ablehnen - wegen fachlicher und schreiberischer Defizite, sagt Westphal. Die anderen werden zugelassen und von einem Stab zwölf festangestellter Redakteure betreut.

Andrea Fettweis, Fachzeitschriftenredakteurin für Pharma- und Medizinthemen, ist eine von ihnen. Im aktuellen Ranking der meistgeklickten Suite-Autoren liegt sie auf Platz 13. Ihren ersten Artikel verfasste sie über die Aromatherapie für Mutter und Kind. Inzwischen schreibt sie regelmäßig auf Suite101 und verweist über Facebook und Twitter auf ihre eigenen Texte.

Rund 150 Euro bringt ihr das Suite-Engagement, ein "nettes Zubrot", sagt sie, denn oftmals handelt es sich um eine inhaltliche Zweitverwertung. Doch das Netzwerk sei eine hervorragende Kontakt-Plattform - zu Lesern oder anderen Autoren. "Es kommen auch immer mal wieder neue Medien mit neuen Aufträgen auf mich zu," erzählt Fettweis.

Hat diese Art Journalismus also Zukunft? Veit Siegenheim ist sich da sicher. Zusammen mit dem Fernsehjournalisten und Center.tv-Gründer André Zalbertus hat er die Inhaltefabrik in Bochum gegründet. Zehn festangestellte und viele freie Mitarbeiter sind dort gerade damit beschäftigt, das Web-Portal Wiegehtdas.tv mit Text- und Videobeiträgen zu den unterschiedlichsten Themen zu füllen: von Auto über Computer bis hin zu Arbeit und Gesundheit.

Die Absicht: zu jeder möglichen Frage, die der User in die Google-Suchmaske eingeben könnte, auf Wiegehtdas.tv eine Antwort zu haben und im Ranking entsprechend weit vorne aufzutauchen. Vorbild ist das 2006 in den USA gegründete Demand Media, das über seine Site ehow.com noch die unmöglichsten Fragen via Video beantwortet und monatlich Tausende neuer Artikel und Videos einstellt.

Howcast.com, Answers.com und S eed.com sind ähnlich gelagerte Medienphänomene, bei denen die Inhalteproduktion einer Fließbandarbeit gleicht: Hauptsache zu jedem Thema gibt es irgendeine Antwort.

Ist dies das Ende des qualitativ anspruchsvollen Journalismus? Nein, beschwichtigt Veit Siegenheim. "Wir sind nur eine zusätzliche Facette, und das bei Kostenstrukturen, die noch vor Jahren undenkbar waren."

Allerdings glaubt auch Siegenheim, dass die Entwicklung nicht spurlos an den etablierten Medien vorübergeht. "Dem traditionellen Journalismus werden wir ein Stück wegnehmen."

© W&V 32/2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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